Golem stiller Bruder
ließ sie sich auf den Stuhl fallen und verbarg das Gesicht in den Händen. Ihre Schultern zuckten.
Josef gab Jankel ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie gingen um das Haus herum, vorbei an den beiden vergnügt grunzenden Schweinen, vorbei an den Hühnern und dem Pferd, und blieben vor der Tür stehen. Josef nickte, und Jankel streckte die Hand aus und klopfte, bemüht, nicht zu fest zu klopfen und nicht zu leise, nicht erschreckend, sondern vertrauenerweckend.
Der Mann machte ihnen die Tür auf, doch das anfängliche Erstaunen in seinem Gesicht verwandelte sich bei Josefs Anblick in Entsetzen, er trat einen Schritt zurück und machte eine Bewegung, als wolle er die Tür auf der Stelle wieder zuschlagen.
»Friede sei mit euch«, sagte Jankel schnell. »Wir kommen als Freunde, wir haben eine wichtige Nachricht.«
»Geht«, sagte der Mann, »geht, um Gottes willen, unser Unglück ist schon groß genug.«
Bevor er die Tür zuschlagen konnte, sagte Jankel so laut, dass die Frau es hören musste: »Halt, warte doch! Wir wissen, wo Hanka ist.«
Der Mann erstarrte, die Frau am Tisch sprang auf. »Kommt herein«, rief sie, »bitte, kommt doch, euch schickt der Himmel.« Sie schlug ein Kreuz, dann noch eines. »Kommt herein, bitte, und sagt uns, wo Hanka ist.«
Jankel ging an dem Mann vorbei und setzte sich auf den Stuhl, den die Bäuerin ihm hinschob. Er trank auch das Wasser aus der Blechtasse, die sie vor ihn auf den Tisch stellte, aber das Brot, das sie ihm anbot, lehnte er dankend ab, denn er hatte gesehen, dass auf der Anrichte ein angeschnittener Schinken lag.
»Eure Tochter ist in Prag«, sagte er. »Wir können euch helfen, sie wiederzubekommen, aber dazu müsst ihr uns nach Prag begleiten.«
»Nach Prag?«, rief die Frau entsetzt. »Ich war noch nie in Prag, ich fürchte mich vor der Stadt. Und wieso soll Hanka in Prag sein? Wie ist sie dorthin gekommen?«
Jankel sagte: »Sie ist in Prag, bei Gericht. Sie soll falsches Zeugnis ablegen wider einen ehrlichen, unschuldigen Menschen.«
»Wie kann sie Zeugnis ablegen?«, mischte sich der Bauer in verächtlichem Ton ein. »Du lügst doch! Unsere Tochter ist tot, sie kann nicht mehr sprechen.«
»Das Fieber hat sie uns genommen«, sagte die Frau und fing wieder an zu weinen. »Zwei Wochen lang hat sie gelitten, dann hat der Herrgott sie zu sich geholt. Ach, meine süße, kleine Hanka, was war sie für ein liebes, gutes Kind! Warum hat der Gott im Himmel uns auch noch dieses Kind genommen, nachdem das erste kaum drei Tage alt geworden ist? Welche Sünde haben wir auf uns geladen, dass wir so gestraft werden?« Erneut bekreuzigte sie sich und flüsterte: »Verzeih mir, Herr, ich bin nur eine unwissende Frau, wie sollte ich deine Wege verstehen?«
»Bitte kommt mit nach Prag«, sagte Jankel flehend. »Bitte, ein aufrechter Mann wird verdächtigt, eure Tochter ermordet zu haben.«
»Niemand hat sie ermordet«, rief die Frau. »Es war das Fieber, das sie uns genommen hat. Zwei Tage lang hatten wir sie schon aufgebahrt.« Sie deutete hinüber zu dem Bett im Alkoven, dann schlug sie die Hände vors Gesicht und fuhr mit erstickter Stimme fort: »Und als wir vom Priester zurückkamen, war sie verschwunden. Jemand hat ihre Leiche gestohlen …«
»Man hat sie einem Juden ins Haus gelegt«, sagte Jankel. »Und es gibt falsche Zeugen, die beschwören wollen, dass er Hanka ermordet hat. Versteht doch, man wird einen Unschuldigen hinrichten, wenn ihr nicht mitkommt und aussagt. Gott wird es euch lohnen.«
»Einem Juden«, sagte der Mann mit einer Stimme, die seine ganze Verachtung ausdrückte, und spuckte auf den Boden. »Was haben wir mit Juden zu tun?«
»Juden sind auch Menschen«, sagte Jankel. »Sie essen wie Christen und sie schlafen wie Christen. Sie werden geboren wie Christen und sie sterben wie Christen. Und eine jüdische Mutter weint um ihr Kind, wie eine christliche Mutter um ihr Kind weint.«
Die Bäuerin schaute ihn lange an und Jankel senkte den Kopf unter ihrem prüfenden Blick. Er wusste selbst nicht, ob die Worte aus seinem Herzen gekommen waren oder ob er sie nur aus Berechnung gesagt hatte.
Die Frau drehte sich zu ihrem Mann um. »Spann den Gaul ein«, sagte sie. »Wir fahren nach Prag. Wenn das der einzige Weg ist, Hanka zurückzubekommen, bleibt uns nichts anderes übrig.« Mit jedem Wort gewann ihre Stimme an Entschlossenheit. »Spann den Gaul ein! Ich werde keine Ruhe finden, bevor wir sie nicht hier, in geweihter Erde, begraben
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