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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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hinüber. Der Bauer war blass geworden und wich einen Schritt zurück, als er den reichen Gutsherrn erkannte, und wieder wandte er sich um, als suche er eine Möglichkeit zur Flucht, doch hinter ihm an der Tür stand Josef und versperrte mit seinem großen Körper den Ausgang. Die Bäuerin war unter der lauten Stimme des Gutsherrn zusammengezuckt, wagte jedoch nichts zu sagen.
    »Die Zeugen sollten jetzt noch einmal wiederholen, was sie vorhin beschworen haben«, sagte Doktor Balthasar.
    »Muss das sein?«, fragte der Richter, zu Doktor Balthasar gewandt, und bewegte den Kopf, dass seine weißen Löckchen wippten.
    »Ja«, sagte Doktor Balthasar, »es muss sein.«
    Der Richter drehte sich wieder zur Zeugenbank. »Zeuge Janusz Novák, ich frage Ihn noch einmal: Hat Er gesehen, wie der Jude Meisl das Mädchen getötet, in einen Sack gesteckt und weggeschleppt hat?«
    Der Kutscher sprang auf. »Jawohl, hoher Herr, das habe ich gesehen«, sagte er mit fester Stimme.
    »Und Er, Zeuge Piontek Kovacz, hat Er gesehen, wie der Jude Meisl das Mädchen getötet, in einen Sack gesteckt und weggeschleppt hat?«, fragte der Richter weiter.
    Piontek, der Strohblonde, sprang auf und flüsterte etwas Unverständliches.
    »Lauter«, sagte der Richter. »Lauter, Zeuge, ich kann Ihn nicht verstehen.«
    »Ja, ich habe es gesehen«, sagte der Strohblonde widerwillig und mit Angst in der Stimme.
    Beim Klang seiner Stimme hatten beide, der Bauer und seine Frau, den Kopf gehoben und starrten ihn an.
    Wieder meldete sich Doktor Balthasar zu Wort. »Hohes Gericht«, bat er, »zeigt den Eltern das tote Kind, damit wir wissen, ob es sich wirklich um ein und dasselbe Mädchen handelt.«
    Der Richter nickte. »Gerichtsdiener, zeige Er den Zeugen die Leiche!«
    Ein Gerichtsdiener führte Jankel und die Bauersleute, die nur mühsam den Blick von dem Strohblonden wandten, zur Seite. Auf einem Tisch in der Ecke stand ein kleiner Sarg, aus rohem Holz gefertigt. Der Gerichtsdiener deckte ihn auf und blieb, den Deckel in der Hand, daneben stehen. Jankel wich vor dem Geruch zurück, der ihnen aus dem Sarg entgegenschlug, ein süßlicher, unangenehmer Geruch, bei dem ihm Übelkeit in der Kehle aufstieg. Aber er warf noch einen Blick auf das Kind, bevor er den Kopf abwandte. Es lag da, mit gefalteten Händen, die sehr hellen Haare gekämmt, und sah fast noch friedlicher aus als an jenem Morgen, als er es, über dem Pferderücken hängend, zum ersten Mal gesehen hatte.
    Die Bäuerin schrie auf und stürzte sich über die kleine Leiche. »Hanka!«, schrie sie. »Ja, das ist Hanka, mein Hankale, mein Herz, meine süße Tochter …« Laut weinend brach sie über dem kleinen Sarg zusammen.
    Der Bauer wischte sich mit seiner Mütze über die Augen und bekreuzigte sich.
    »Hohes Gericht«, sagt Doktor Balthasar, »nachdem das jetzt geklärt ist, mögen die Eltern doch berichten, wie ihre Tochter zu Tode gekommen ist.«
    »Sie mögen uns sagen, was Sie zum Tod Ihrer Tochter zu sagen haben!«, befahl der Richter.
    »Es war das Fieber«, sagte die Frau, immer wieder von Schluchzen unterbrochen. »Es war das Fieber. Zwei Wochen lang war sie krank, und das Fieber ist immer höher gestiegen, bis es sie verbrannt hat. Nach zwei Wochen hat es Gott gefallen, sie zu sich zu nehmen.«
    »Stimmt das?«, fragte der Richter den Bauern.
    Der nickte. »Ja, hoher Herr, ja, so war es, ganz genau so und nicht anders«, beteuerte er und wischte sich wieder über die Augen.
    »Und wie erklärt Er es sich dann, dass Zeugen gesehen haben, wie der Jude seine Tochter getötet hat?«
    »Das ist nicht wahr«, rief die Bäuerin, hob den Kopf und schaute zu den Zeugen hinüber. Wieder blieb ihr Blick an dem Strohblonden hängen. »Piontek!«, schrie sie. »Du warst das also! Was für ein Ungeheuer bist du doch, dass du dich an der Tochter deines Bruders vergreifst! Ein Unmensch bist du, ein gefühlloses Tier!« Sie stürzte auf ihn los, schüttelte ihn wild und unbeherrscht, wobei sie immer nur schrie: »Du warst es also, du!« Sie schlug sich die Hände vors Gesicht, weinte, und als sie sich wieder gefasst hatte, drehte sie sich zum Richter um. »Hoher Herr«, sagte sie. »Das ist mein Schwager Piontek, der Bruder meines Mannes. Er hat gewusst, dass Hanka am Fieber gestorben ist. Er muss etwas damit zu tun haben, dass sie jetzt hier ist.«
    Reb Meisl hatte den Kopf gehoben. Der Hohe Rabbi legte seine Hand auf seine.
    »Ich habe gesehen, wie der Jude sie weggeschleppt hat«, sagte der

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