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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Talmudschüler blieben stehen und tuschelten, Frauen deuteten mit dem Finger auf mich, und mancher Händler schenkte mir einen Apfel oder ein paar Nüsse, die ich dann Rochele mitbrachte. Am meisten genoss ich es allerdings, wenn Fejgele mich bewundernd anblickte, auch wenn ich dann schnell etwas zu Schmulik sagte und tat, als hätte ich ihren Blick überhaupt nicht bemerkt.
    Es war, als wäre ich innerhalb weniger Tage ein anderer Mensch geworden, und das machte mich natürlich stolz, aber zugleich verstand ich es nicht ganz. Ich war zwar gewachsen, seit ich in Prag lebte, was ich vor allem daran merkte, dass mir die Beine meiner Alltagshose zu kurz geworden waren, aber meine Schultern waren noch ebenso schmal wie früher und ich musste die Hose noch immer mit einer Schnur um die Mitte festhalten, und außer ein paar vereinzelten winzigen Härchen, die ich fühlte, wenn ich mit den Fingerspitzen über meine Wangen, die Oberlippe und das Kinn tastete, wuchs mir auch noch kein Bart. Trotzdem hatte ich für die anderen aufgehört, ein Jeled zu sein, ich war zu einem Bocher geworden, den man nicht mehr übersah.
    Immer wieder musste ich daran denken, was der Rabbi, mein Onkel, gesagt hatte: »Du fällst nicht auf, weder unter Juden noch unter Christen, du kannst dich frei bewegen.« Das stimmte nicht mehr, zumindest was die Juden betraf, doch als ich mich bei Jente darüber beklagte, sagte sie: »Ärgere dich nicht, das geht vorbei, irgendwann haben die Leute wieder einen anderen Gesprächsstoff, einen neuen Helden.«
    Der Ruhm war auch deshalb so schwer zu ertragen, weil ich das Gefühl hatte, ihn nicht zu verdienen, denn der eigentliche Held war ja Josef gewesen, ich hatte ihn nur begleitet. Aber das wollte keiner hören, vor allem Schmulik nicht, der auf jeden meiner Einwände mit einer abschätzigen Handbewegung antwortete: »Hör auf, er ist doch nur ein Golem.«
    Für Josef, den Golem, hatte sich durch die Errettung Reb Meisls nichts geändert, niemand wollte etwas von ihm hören, niemand wollte über ihn sprechen. Dabei hatte ich das Gefühl, dass er gar nicht mehr so erschreckend aussah wie früher, mir kam es vor, als sei sein Gesicht nicht mehr so starr und weniger abstoßend. Ich hatte mich so an seinen Anblick gewöhnt, dass ich nicht mehr verstand, warum ich, als ich ihn das erste Mal sah, so erschrocken war. Mehr als das, ich freute mich, wenn ich ihn sah. Und auch er schien meine Nähe zu suchen. Wenn ich durch die Gassen ging, tauchte er plötzlich auf und lief ein paar Schritte dicht neben mir her, bevor er sich wieder umdrehte und seiner Wege ging.
    Es hatte sich durch meine Reise mit Josef also viel für mich geändert. Aber die größte Überraschung erwartete mich noch. Erst ein paar Tage später erfuhr ich, wie schnell sich Neuigkeiten nicht nur in der Stadt der Juden verbreiteten, sondern auch im Prag der Christen.
    D er Rabbi empfing den Jungen, als er von der Arbeit nach Hause kam: »Ich habe eine Neuigkeit für dich: Wir werden den Kaiser besuchen.«
    »Den Kaiser?«, fragte Jankel erschrocken. »Nein, das möchte ich lieber nicht. Ich bin doch nur ein jüdischer Junge aus Mo ř ina, warum sollte einer wie ich den Kaiser besuchen wollen?«
    »Es geht nicht darum, ob du willst«, sagte der Rabbi. »Der Kaiser hat heute einen Boten geschickt, er hat von dir und Josef wahre Wunderdinge gehört, er will euch sehen. Verstehst du, Jankel, dieser Prozess, vor allem sein Ausgang, hat viel Aufsehen erregt, schließlich geschieht es nicht jeden Tag, dass ein Jude von einem kaiserlichen Gericht freigesprochen wird. Und wenn ein Herrscher einen jüdischen Jungen zu sehen wünscht, dann ist das keineswegs ein Wunsch, sondern ein Befehl, und es ist egal, was du möchtest oder nicht. Es steht geschrieben: Die Ungnade des Königs ist wie das Brüllen eines Löwen, aber seine Gnade ist wie Tau auf dem Grase. Verstehst du das?«
    Jankel nickte bedrückt.
    Der Rabbi legte die Hände vors Gesicht. »Ich würde lieber auch nicht hingehen«, murmelte er so leise, dass Jankel Mühe hatte, ihn zu verstehen. »Für einen Juden ist es immer gefährlich, wenn ein hoher Herr ihn rufen lässt, da ist das Brüllen des Löwen nicht weit. Doch es hilft nichts, wir haben keine Wahl, wir müssen tun, was er verlangt. Der Ewige, gelobt sei er, möge uns beistehen.«
    Jankel hob die Schultern hoch. »Aber …«
    »Kein Aber«, sagte der Rabbi. »Höre, Jankel, ich möchte, dass du dich durch drei Tage strenges Fasten und durch

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