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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Gebete auf den Besuch beim Kaiser vorbereitest. Auch ich werde fasten und um die Hilfe des Herrn beten, denn wir werden seine Hilfe brauchen. Und jetzt kleide dich um und begleite mich zur Synagoge, zum Abendgottesdienst. Vielleicht treffen wir dort Reb Mendel, dann kann ich ihn bitten, dich in den nächsten Tagen etwas schonender zu behandeln.«
    I ch erschrak. Drei Tage Fasten. Fasten ist gottgefällig, sagte der Rabbi immer. Fasten zeigt dem Ewigen, gelobt sei er, dass wir bereit sind, uns seinem Willen zu unterwerfen, dass wir nach dem Himmlischen streben und nicht nach dem Irdischen. Außerdem stärkt es die Selbstbeherrschung und schärft den Blick und den Verstand. Ich hatte noch nie drei Tage gefastet. Einen Tag ja, am Jom Kippur und auch am Tischabe-Aw*. Einen Tag Fasten fand ich schon schwer genug, aber drei Tage?
    Der erste Tag fiel mir tatsächlich nicht leicht, obwohl alle außerordentlich freundlich und hilfsbereit waren. Schmulik zum Beispiel wich nicht von meiner Seite. Er holte mich morgens ab, um mit mir gemeinsam zur Backstube zu gehen, er half mir bei allen Arbeiten, die Mendel mir auftrug, und wenn es etwas Schweres zu heben galt, sprang er herbei und nahm es mir aus der Hand. Er begleitete mich zur Synagoge, zum Beten, und versuchte, mich vor der Neugier und den Fragen der Menschen zu schützen. Obwohl er selbst nicht fastete, vermied er es, in meiner Anwesenheit etwas zu sich zu nehmen, er trank noch nicht einmal einen Schluck Wasser, wenn ich dabei war.
    Am ersten Tag dachte ich ununterbrochen ans Essen und vor allem ans Trinken, doch schon am zweiten fühlte ich mich seltsam leicht, und je langsamer sich mein Körper bewegte, umso schwereloser wurde mein Geist. Manchmal war mir, als löse er sich von meinem Körper und schwebe über mir, als betrachte er die Judenstadt und uns alle von oben, so frei wie ein Vogel, und dann füllte sich mein Herz mit einer tiefen Freude.
    Am Morgen des großen Tages schickte mich der Rabbi in aller Frühe zum rituellen Tauchbad und befahl mir, mich zu reinigen, meine besten Kleider anzuziehen und noch einmal zu beten. Als ich nach Hause zurückkehrte, stand die kaiserliche Kutsche, ein Sechsspänner, bereits vor unserer Tür.
    D ie Kutsche war prächtig, mit goldenen Beschlägen und dem kaiserlichen Wappen auf den Türen. Neben den sechs kräftigen, eleganten Rappen mit schwarzem Zaumzeug aus Lackleder und glänzendem Fell und Mähnen, in die bunte Bänder geflochten waren, standen der Kutscher und ein kaiserlicher Diener, beide in einer Livree mit goldenen Knöpfen und goldenen Litzen. Der Rabbi, in seinem schwarzen Seidenmantel und mit der pelzbesetzten Mütze, wartete bereits vor der Tür, daneben stand Josef in einem neuen, weiten Umhang, der ihn noch größer und breiter aussehen ließ, als er in seinem alten ausgesehen hatte, doch seine Miene war so gleichgültig und unbeteiligt wie immer.
    Jente und Tante Perl umarmten Jankel und wünschten ihm alles Gute und ein mutiges Herz, und Tante Perl sagte: » Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, behüte ihre Schritte und geleite sie mit deinem Frieden. Lass sie lebendig, froh und unversehrt ihr Ziel erreichen und lebendig, froh und unversehrt zurückkehren .«
    Ein Pferd schüttelte den Kopf, dass die Bänder in seinen Mähnen durch die Luft flogen, sein Zaumzeug blitzte in der Sonne auf, das Blitzen traf Jankels Gesicht und trieb ihm das Wasser in die Augen.
    »Steig ein«, sagte der Rabbi, als der kaiserliche Diener die Kutschentür aufriss, und Josef stieg die Stufe hinauf und schob sich unbeholfen in die Kutsche, wobei er sich bücken und den Kopf einziehen musste, ebenso wie der Rabbi, der nach ihm einstieg. Jankel war der Letzte, er setzte sich ans Fenster, neben den Hohen Rabbi. Josef hatte auf der Bank gegenüber Platz genommen. Der Diener schlug die Tür zu und stieg auf den Bock, neben den Kutscher, der mit der Peitsche knallte, wie es der Brauch der Kutscher war, und die Pferde setzten sich in Bewegung. Tante Perl und Jente winkten ihnen mit bedrückten Gesichtern nach. Jankel lehnte sich aus dem Fenster und schaute zu ihnen zurück, bis sie sich mit sorgenvoll gesenkten Köpfen umdrehten und wieder ins Haus gingen.
    Dann erst betrachtete er die Kutsche. Sie war mit purpurfarbener Seide ausgeschlagen, auch die Vorhänge, jetzt zurückgezogen und durch eine goldene Kordel zusammengehalten, waren aus diesem glänzenden Stoff, und die Sitze waren so weich, dass Jankel das Gefühl hatte, in ihnen

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