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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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schönes Mädchen, findest du nicht auch?«
    »Doch, ja«, sagte Jankel und wollte hinzufügen, dass sie für ihn das schönste Mädchen der Stadt sei, doch er kam nicht dazu. Auf einmal stand Josef neben ihnen, nahm ihnen die Griffe aus der Hand und schob den Karren für sie weiter. Schmulik warf dem Freund einen fragenden Blick zu und schüttelte verwundert den Kopf, aber Jankel nickte ihm nur beruhigend zu, er hatte sich an Josefs überraschendes Erscheinen längst gewöhnt. Kurz vor der Nikolaikirche setzte Josef den Karren ab und trat zur Seite, doch er drehte sich nicht sofort um und ging weg, wie es sonst seine Art war, sondern blieb stehen.
    I ch fand es seltsam, dass Josef stehen geblieben war, deshalb wandte ich mich nach der Kirche noch einmal um. Er stand dort an derselben Stelle, mit herabhängenden Armen, und blickte uns nach. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er mich anschaute, wirklich anschaute, nicht durch mich hindurch, wie er es sonst immer tat. Ich meinte, seinen Blick zu spüren, und mir wurde eigenartig zumute. Er stand unbeweglich da, groß und klobig wie ein dicker Baumstamm, und die Menschen verhielten sich auch so, als wäre er einer, sie gingen in einem großen Bogen um ihn herum und wichen ihm aus, wie man einem lästigen Hindernis ausweicht, und keiner schaute ihn an, alle wandten die Gesichter zur Seite.
    Wie er sich wohl fühlt, wenn er immer übersehen wird?, dachte ich und wunderte mich, dass mir dieser Gedanke nicht früher gekommen war. Ich schämte mich und empfand Mitleid mit ihm. Das war wohl der Grund dafür, dass ich die Hand hob und ihm zuwinkte.
    Und Josef, der Golem, tat etwas, was er noch nie getan hatte: Er hob langsam die Hand und winkte zurück.
    S chmulik riss Jankel aus seinen Gedanken. »Hast du gesehen, dass sie Grübchen in die Wangen bekommt, wenn sie lacht?«, fragte er.
    Jankel nickte nur, was hätte er auch sagen sollen? Dass er nicht blind war? Fejgele lachte gern und oft, und vermutlich hatte jeder, der in der Judenstadt wohnte, ihre Grübchen schon gesehen.
    Schmulik sprach weiter, und in seiner Stimme lag eine solche Sehnsucht, dass Jankel nicht wagte, ihn anzuschauen: »Du weißt doch, was im Lied der Lieder steht: Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead. Deine Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme kommen: Alle haben sie Zwillinge und keins unter ihnen ist unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel. Dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, an der tausend Schilde hangen, lauter Schilde der Starken. Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden. Bis der Tag kühl wird und die Schatten schwinden, will ich zum Myrrhenberg gehen und zum Weihrauchhügel. Du bist wunderbar schön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir .«
    »Du hast es auswendig gelernt«, sagte Jankel erstaunt.
    Und Schmulik sagte: »Ja, das ganze Lied der Lieder. Es erfüllt mein Herz mit Trauer und zugleich mit Dankbarkeit, es tröstet mich, wenn ich es mir vorsage.« Er schwieg verlegen und auch Jankel wagte nichts zu sagen.
    Sie kamen am Marktplatz an und richteten, noch immer schweigend, ihren Stand her.
    Dann, er hatte gerade zwei Brotlaibe und fünf Kinderkringel verkauft, sagte Schmulik: »Sie ist erst vierzehn, aber in ein, zwei Jahren wird Mendel einen Bräutigam für sie suchen und sie verloben, und spätestens wenn er sie verheiratet, verlasse ich Prag und werde Geschichtenerzähler.« Er errötete und wandte das Gesicht ab, als er fragte: »Denkst du auch manchmal daran, wie es ist, zu heiraten und eine Frau zu haben?«
    »Nicht sehr oft«, antwortete Jankel. »Ich bin noch zu jung, ich werde an Simchat Tora erst sechzehn.«
    »Ich denke oft daran«, sagte Schmulik und seine Stimme klang bedrückt. »Aber die, die ich möchte, werde ich nicht bekommen.«
    Eine dicke Frau blieb stehen und deutete auf einen Laib. »Den, ich will den da.« Schmulik reichte ihr das Brot und verstaute die Münzen, die sie ihm hinhielt, gedankenlos in seiner Tasche.
    »Warum glaubst du, dass du sie nicht bekommst?«, fragte Jankel, als die Frau gegangen war.
    Schmuliks Gesicht veränderte sich, er war zornig und sah auf einmal viel

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