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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Worte auszusprechen. Glaubt mir, das ist nicht mit rechten Dingen zugegangen. Wieso hat der Kaiser diesen Juden überhaupt in die Burg eingeladen? Ich frage euch: Wurde etwa einem von euch schon einmal eine solche Ehre zuteil wie diesem ungläubigen Juden?«
    Die Leute schüttelten die Köpfe, lachten über diese dumme Vorstellung und riefen durcheinander: »Nein, natürlich nicht.«
    Der Mönch wartete, bis es wieder ruhig wurde, dann fuhr er mit lauter Stimme fort: »Seht ihr, euch hat er nie eingeladen und dabei seid ihr sein eigenes Volk, ihr bezahlt ihm Steuern und Abgaben, ihr rackert euch dafür ab, dass er einen Juden in seine Burg einladen kann. Ist das gerecht? Und außerdem: Dieser Rabbi hat den Kaiser doch erst in Gefahr gebracht und dann so getan, als würde er ihn erretten. Er ist bekannt dafür, dass er die schwarze Magie beherrscht, jeder weiß, dass er mit dem Bösen im Bunde ist und uns Christen vernichten will. Er ist ein Teufel, sage ich euch! Er ist der Erste, den man erschlagen müsste.«
    Jankel wurde es schwarz vor den Augen, er fing an zu schwanken, aber das begeisterte Klatschen der Leute und ihre Rufe »Ja, so ist es« und »Recht hat er« und »Thaddäus spricht die Wahrheit« und »Erschlagen müsste man ihn« brachten ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.
    »Und dieses Gerichtsurteil«, sprach der Mönch mit donnernder Stimme weiter, »muss auf ähnliche Weise entstanden sein. Denn nun sitzt ein aufrechter böhmischer Gutsherr im Kerker, und dieser Jude, der sich verbrecherisch an einem tschechischen Kind vergangen hat, der Tochter armer, ehrlicher Bauern, ist frei. Er erfreut sich seines Reichtums und sitzt da wie eine Made im Speck. Ich frage euch: Warum ist er überhaupt so reich? Er lässt sich von seinen Dienern das Fett ins Maul schieben und ihr müsst euer Brot im Schweiße eures Angesichts verdienen. Ist das gerecht? Dieses Land ist unser, wir wollen sie hier nicht haben, diese Mörder unseres Heilands. Sie sind doch nur Schmarotzer. Mit jüdischer Hinterlist und jüdischer Heimtücke versuchen sie, uns unser Land zu stehlen und die Herrschaft über uns zu erlangen, damit sie die Herren sind und wir die Knechte. Aber sie werden sich noch umschauen, diese Juden, denn alle, die rechten Glaubens sind, werden sich gegen die Ungläubigen wehren. In den Ländern des Westens, zum Beispiel in Bayern und Sachsen, werden heutzutage schwarze Magier als Hexer auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und ich sage euch: Es wird nicht lange dauern, da wird auch bei uns die Gerechtigkeit Gottes ihren Einzug halten.«
    Die Zuhörer jubelten begeistert und Jankel konnte sich kaum mehr aufrecht halten. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg zurück zu Schmulik und erzählte ihm flüsternd, was der Mönch gesagt hatte. »Das Dekret hat also doch nicht so viel gebracht«, sagte Schmulik. Schweigend und bedrückt packten sie ihre Sachen zusammen und kehrten zur Judenstadt zurück.
    Abends, als er zu Rochele gehen wollte, hielt der Rabbi ihn zurück und befahl ihm, Jizchak, seinen Schwiegersohn, und Schimon, seinen Schüler, zu bitten, nach dem Abendgebet zu ihm zu kommen. Jankel nickte und machte sich auf den Weg.
    Rochele freute sich, ihn zu sehen, besonders als er vier übrig gebliebene Kinderkringel für sie, Frumes Töchter und den kleinen Jossele aus der Tasche zog. Aber sie fiel ihm nicht mehr um den Hals, wie sie es früher getan hatte. Sie berührte nur scheu seine Hand und bedankte sich.
    R ochele hatte sich sehr verändert, seit wir in Prag waren. Sie war gewachsen und kräftiger geworden, aber sie küsste mich nicht mehr. Sie stand vor mir, schaute mich mit ihren Taubenaugen an und schmiegte sich höchstens einmal kurz an mich. Dabei hatten wir früher alles miteinander geteilt und hatten sogar im selben Bett geschlafen. »Weißt du noch, wie Tante Schejndl uns immer Teig für die Kinderkringel mitgegeben hat?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Hast du Mo ř ina schon ganz vergessen?«
    Sie schaute mich mit großen Augen an, und als ich sie fragte, ob sie noch wisse, wie Tante Schejndl ausgesehen habe, schüttelte sie wieder den Kopf.
    Meine kleine Schwester vergaß allmählich, dass sie ein anderes Leben gelebt hatte, mit mir, mit Tante Schejndl und mit unserem Vater. Es ging ihr gut bei Frume, das wohl, aber als ich sie anschaute, verstand ich, dass wir keine Familie mehr waren, nicht mehr so wie früher. Und dass wir es nie mehr sein würden, wenn unser Vater nicht bald käme, um uns

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