Golem stiller Bruder
älter aus.
»Weil wir nichts haben«, sagte er leise, aber seine Stimme klang, als würde er schreien. »Weil mein Vater schon so lange tot ist und weil meine Mutter, sie möge leben und gesund sein, mit Näharbeiten nicht genug verdient, um Salz zum Brot zu kaufen. Weil wir ohne Reb Meisls Hilfe längst verhungert wären. Glaubst du wirklich, irgendein angesehener Jude würde mir seine Tochter geben? Wir sind Habenichtse, so arm wie die Mäuse im Haus eines Bettlers, bei uns hat noch nie einer einen guten Kopf gehabt, nicht für den Handel und erst recht nicht fürs Torastudium, wir sind die Pechvögel, denen alles misslingt, verstehst du? Wenn es Gold regnet, sitzen wir in der Stube, und wenn wir auf die Gasse gehen, fallen Steine vom Himmel. Und wenn einer von uns sich entschließen würde, Kerzen herzustellen, würde die Sonne nicht mehr untergehen. Nein, Jankel, die Männer in meiner Familie waren alle wie das stille Jüdel, von dem ich dir erzählt habe.«
»Aber da war auch keiner, der seine Frau und seine Kinder inniger geliebt hätte«, sagte Jankel.
Schmulik nickte und sein Gesicht wurde traurig. »Ja, so war es. Aber die, die ich möchte, werde ich nicht bekommen, wie sollte ich dann lieben? Deshalb werde ich gar nicht heiraten, verstehst du? Und für meine Schwestern kann ich nur hoffen, dass Reb Meisl, er möge leben und gesund sein, eine Aussteuer für sie bezahlt.«
Er schwieg. Dann lachte er plötzlich und sah wieder aus wie immer. »Was für ein dummes Gespräch«, sagte er und legte den Arm um Jankels Schultern. »Wir sollten froh und dankbar sein. Keiner kann wissen, was ihm die Zukunft bringt, die Tage, die noch kommen werden, liegen im Dunkeln und wir können sie nicht sehen. Und weißt du was? Ich freue mich auf ein Leben als Geschichtenerzähler, ich werde jeden Tag woanders sein, jeden Tag andere Menschen sehen, jeden Tag neue Wege entdecken und mich an einem anderen Ort zum Schlafen niederlegen.«
Er nahm zwei Brote und legte sie einem Dienstmädchen, einem ganz jungen Ding mit weizenblonden Haaren, in den Korb. »Hier, meine Dame, danke, meine Dame«, rief er und verneigte sich überschwänglich vor ihr. Die Kleine wurde feuerrot und hielt ihm verlegen ein paar Münzen hin. Schmulik strahlte sie an, als habe sie ihm einen Stern vom Himmel geholt, und schenkte ihr noch einen Kinderkringel.
Gegen Mittag, sie hatten schon fast alles verkauft, aßen sie die Brote, die Fejgele ihnen mitgegeben hatte. Sie waren mit gekochten Eiern und Zwiebelringen belegt, aber Schmulik kaute sein Brot so andächtig, als wäre es eine gebratene Gänsekeule, und den Himbeersaft trank er wie köstlichen Wein.
Sie hatten ihre Mahlzeit noch nicht beendet, als sie eine laute Stimme vernahmen, die die Menschen aufforderte, stehen zu bleiben und zuzuhören. Weiter hinten, da, wo Bäuerinnen Hühner und Gänse verkauften, bildete sich eine Menschenansammlung, aus deren Mitte der Kopf eines Mönchs hervorragte.
»Das ist Thaddäus, der Judenhasser«, sagte Schmulik. »Geh hin, Jankel, und höre genau zu.«
Der Mönch hatte sich auf eine umgedrehte Kiste gestellt, er fuchtelte mit den Armen beim Reden und sein Gesicht mit den glühenden Augen war von Zorn gerötet. »Unsere Feinde sind sie, die Juden«, rief er, »die Feinde Gottes. Wir müssen diese Ungläubigen mit Feuer und Schwert bekämpfen und sie ausrotten, zur Ehre Gottes und zu unserer eigenen Rettung. Sie sind Teufel, die uns vernichten wollen. Hört, was ich euch verkünde: Jeder, der einen Juden erschlägt, wird im Jenseits reich belohnt werden, er wird Gott schauen und zu seinen Füßen sitzen. Jedem, der einen Juden erschlägt, wird der Ablass für seine Sünden versprochen. Gottes Gesetze auf Erden müssen durch die Rechtgläubigen umgesetzt werden, wir sind dazu aufgerufen, die Tugend der Welt und die Ehre Gottes zu verteidigen, und wenn es nötig sein sollte, auch dafür zu sterben.«
»Aber die Juden stehen unter dem Schutz des Kaisers«, rief ein Mann. »Hast du das nicht gehört?«
Eine Gans gackerte laut, der Mönch spuckte über seine linke Schulter. »Sie haben ihm etwas ins Essen getan, um seinen Geist zu verwirren«, rief er. »Sie sind listig wie der Teufel selbst und heimtückisch wie die Sünde. Sie haben ihm etwas ins Essen getan, um ihn dazu zu verleiten, ein solches Dekret auszustellen, oder sie haben es durch einen ihrer geheimen jüdischen Wege geschafft, in seinen Kopf einzudringen und seinen Mund dazu zu veranlassen, derartige
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