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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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»damit wir zusammen überlegen, wann wir dem Golem das Leben nehmen, das wir ihm gegeben haben.«
    Jankel schreckte aus seinen Gedanken hoch, als er das Wort Golem hörte, und starrte den Rabbi an.
    »Ja«, sagte der Rabbi, »der Golem ist überflüssig geworden, die Blutanklage ist nicht mehr zu befürchten. Deshalb ist es an der Zeit, ihn der Erde zurückzugeben.«
    »Aber …«, sagte Jankel, er war wie vom Blitz getroffen, jeder Gedanke wich aus seinem Kopf und die Wörter blieben in seinem Hals stecken.
    Der Rabbi legte seine Hand auf seine, eine schwere Hand mit einem breiten Handgelenk. »Ein Golem darf nur so lange leben, wie er gebraucht wird«, sagte er.
    Jankel senkte den Kopf und starrte in die Kerzenflamme.
    Der Rabbi zog seine Hand zurück, stützte die Arme auf und legte den Kopf auf die Hände. »Manchmal kommt mir der Gedanke, ob es nicht vermessen war, ihn überhaupt zu erschaffen, und das Herz wird mir schwer.«
    »Nein«, widersprach Jizchak und schüttelte den Kopf, dass seine schwarzen Locken flogen. »Nein, Löw, woher stammt der Odem des Lebens? Doch nur von dem, der Himmel und Erde erschaffen hat.«
    »Können wir da so sicher sein?«, fragte der Rabbi und hob den Kopf. »Die Mächte des Bösen führen die Menschen in Versuchung, und wer sagt uns, dass wir nicht in die Falle getappt sind, die sie für uns gegraben haben?«
    »Nein«, sagte Schimon und strich sich bedächtig über den Bart. Sein Gesicht war ernster als sonst. »Nein, Rabbi, wir haben ihn gebraucht. Der Ewige, gelobt sei er, hätte ihm nie den Atem des Lebens eingehaucht, wenn er seine Erschaffung nicht gewollt hätte.«
    Der Rabbi hob die Hände wie Waagschalen, und als er weitersprach, bewegten sie sich, als wiege er Recht und Unrecht gegeneinander ab. »Die Feuerflamme der geheimen Lehre zündet und verzehrt alles, was nicht Feuer ist wie sie«, sagte er. »Ich habe mich mit der magischen Formel und der Anrufung der heiligen Namen Gottes zum Herrn über das Leben gemacht, ich habe seine heiligen Namen benutzt und die Engel zu Hilfe gerufen, die als Werkleute des Ewigen dienen. Aber wer sagt mir, dass ich recht daran getan habe? Entfernen wir uns durch solche Taten von Gott oder nähern wir uns ihm? Er ist groß und groß ist sein Name, wie kann ich sicher sein, dass ich ihn nicht entheiligt habe? Ich kann ihn nur bitten, dass er, wenn ich eine Schuld begangen habe, diese Schuld nur in mein Buch des Lebens schreibt, nicht in eures, denn ich habe euch zu dieser Handlung verleitet.«
    »Nein, Rabbi«, rief Jizchak erregt. »Der Ewige hat uns den Golem geschenkt, er ist eine Gnade, die er seinem Volk gewährt hat, als es Schutz benötigte. Aber du hast Recht, jetzt sind wir von der schrecklichen Blutanklage befreit, jetzt brauchen wir ihn nicht mehr. Drum sag uns, was wir tun sollen, damit er wieder zu Lehm wird, aus dem wir ihn geformt haben.«
    Jankel spürte, wie das Blut in seinen Kopf zurückkehrte. »Ihr irrt euch«, rief er, »wir brauchen ihn weiterhin.« Und dann fing er an zu erzählen, was er heute auf dem Markt erlebt hatte, er wiederholte die Worte des Mönchs Thaddäus, er beschrieb das Klatschen und die Begeisterung der Zuhörer und sprach immer dringlicher, immer schneller.
    D abei wusste ich genau, dass ich Josef nur retten konnte, wenn es mir gelang, diese drei Männer zu überzeugen. Und die ganze Zeit, während ich sprach, sah ich Josef vor mir, wie er dort hinter der Nikolaikirche gestanden und mir zugewinkt hatte, und ich meinte wieder zu fühlen, wie er mich auf den Armen geschaukelt hatte.
    W ieder legte der Rabbi die Hand auf die des Jungen. »Beruhige dich«, sagte er. »Wir müssen auf die Worte des Ewigen vertrauen, der gesagt hat: Die Gottlosen werden gestürzt und nicht mehr sein, doch das Haus des Gerechten bleibt bestehen.«
    »Aber was ist mit Josef?«, fragte Jankel.
    »Wir werden erst einmal nichts unternehmen, wir werden darüber nachdenken.« Er schwieg, dann sagte er: »Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, an die ich jetzt oft denken muss, denn sie zeigt uns, welche Gefahren es birgt, wenn der Mensch sich anmaßt, es dem Ewigen gleichzutun.« Er nahm einen Schluck Wasser, Schimon und Jizchak lehnten sich zurück, und Jankel stützte den Kopf auf die Hände, während der Rabbi zu erzählen begann.
    »Von Maimonides, dem großen Gelehrten, der in Cordoba lebte, sagt man, er sei vom Propheten Elijahu selbst unterrichtet worden und habe von ihm zwei sehr nützliche Bücher erhalten: das

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