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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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damit gerechnet, dass Sam die Ketten in seinem größten Glaskasten zur Schau stellen würde, doch Sam hatte einen besseren Plan. In letzter Zeit war es bei den Damen der guten Gesellschaft in Mode gekommen, sich in phantastischen »orientalischen« Kostümen porträtieren zu lassen – so wie sie sich eine Prinzessin oder Kurtisane aus dem Nahen Osten vorstellten. Sams Geschäft war eine beliebte Adresse bei diesen Damen, die häufig ihre Mädchen schickten oder sogar selbst kamen, um Requisiten und Kleidung zu kaufen. Die meisten von ihnen betrachteten es als unfein zu feilschen, sodass Sam einen ordentlichen Profit mit spitzen orientalischen Pantoffeln, seidenen Pluderhosen und unechten ägyptischen Armbändern machte. Die neuen Ketten würden bei ihnen gewiss Anklang finden; und wie Sam wusste, würden sie ihnen noch besser gefallen, wenn damit eine Geschichte verbunden wäre.
    Es dauerte nur ein paar Tage, bis die erste Kundin kam. Ein schmaler, teurer Einspänner hielt unter dem Blick gaffender Passanten vor Sams Geschäft, und eine dunkelhaarige junge Frau stieg aus. Der Schnitt und der Stoff ihrer Kleidung zeugten eindeutig von Wohlstand. Die Nachmittagshitze war unerträglich, doch die junge Frau trug ein schweres dunkles Kleid und ein wollenes Schultertuch. Sie sah sich höflich und neugierig um, bis eine ältere Frau, die ebenso fein in Schwarz gekleidet war, ausgestiegen war. Die ältere Frau warf einen angewiderten Blick auf ihre Umgebung, fasste ihre Gefährtin am Ellbogen und führte sie rasch in Sams Geschäft.
    Sie waren in der Tat wegen eines Porträts gekommen. »Die Idee meines Verlobten«, sagte die junge Frau. »Er hat es in Auftrag gegeben, als Hochzeitsgeschenk.« Sam bat die beiden Damen, auf seinen besten Stühlen Platz zu nehmen, brachte ihnen Tee und zeigte ihnen während der nächsten Stunde Stoffballen, mit Perlen besetzte Schals, mit Münzen besetzte Schleier und was immer ihnen für Schnickschnack gefallen konnte. Überraschenderweise hatte die junge Frau einen guten Blick für Authentizität und wies die kitschigsten Dinge zurück. Bald hatte sie Kleidung zusammengestellt, wie sie eine begüterte osmanische Frau tatsächlich einst getragen haben mochte.
    Die Sonne fiel schräg durch die großen Fenster des Ladens, und die alte Frau tupfte sich mit einem Taschentuch die Stirn; doch die junge Frau machte keinerlei Anstalten, das Schultertuch abzulegen, und Sam bemerkte, dass die Hand mit der Teetasse leicht zitterte. Irgendeine Krankheit oder eine Schüttellähmung vielleicht. Eine Schande bei einer so jungen und hübschen Frau.
    Schließlich kamen sie, wie Sam erwartet hatte, zum Thema Schmuck. Er ging ins Hinterzimmer und kehrte mit einer alten ledernen Schachtel zurück, die deutliche Gebrauchsspuren aufwies, und blies imaginären Staub vom Deckel. »Die zeige ich nur selten«, sagte er.
    Er öffnete die Schachtel, und der jungen Frau verschlug es den Atem, als er eine Kette nach der anderen herausnahm. »Wie wunderschön! Sind sie alt?«
    »Ja, sehr alt. Sie haben meiner
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gehört – entschuldigen Sie, wie sagt man, Mutter von Mutter?«
    »Großmutter.«
    »Danke, ja, meiner Großmutter. Sie war Beduinin. Kennen Sie? Leute, die durch Wüste ziehen.«
    »Ja, ich habe von Beduinen gehört«, sagte die Frau.
    »Mein Großvater hat ihr geschenkt, bei Hochzeit. Als Teil von … hmm. Preis?«
    »Ihrer Aussteuer?«
    »Ja, Aussteuer. Als sie gestorben ist, sie hat mir die Ketten hinterlassen, um zu verkaufen. Denn schöne Kette muss von schöner Frau getragen werden, oder sie ist gar nichts wert.«
    »Sie wollen Sie nicht für Ihre Frau oder Kinder behalten?«
    »Für sie« – er machte eine ausholende Handbewegung durch den Laden – »ich habe Geschäft. Viel wertvoller, in Amerika.«
    Sie kicherte. »Sie sind ein kluger Mann, Mr. Hosseini.« Neben ihr schniefte die alte Dame, als wollte sie damit ihre Meinung über die Klugheit von Mr. Hosseini oder vielleicht auch über die gesamte Unterhaltung zum Ausdruck bringen.
    »Darf ich sie anprobieren?« Die junge Frau deutete auf die Kette mit den Plättchen aus blaugrünem Glas.
    Er holte einen Spiegel und hielt ihn hoch, während die alte Frau den Verschluss einrasten ließ. Sie betrachtete sich, und Sam lächelte. Die Kette passte, als wäre sie für ihren Hals gemacht. »Wunderschön«, murmelte er. »Wie Königin der Wüste.«
    Mit zitternden Fingern berührte sie die Kette. Die runden Glasplättchen bewegten sich leicht

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