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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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zurückbringen wollen. Das Glas mit seinem Geld. Die Ketten, die er von Conroy gekauft hatte. Der Schirm mit dem silbernen Griff. Und in einem Schränkchen seine kleinen Figuren.
    Er nahm sie heraus und stellte sie auf dem Tisch der Reihe nach auf. Vögel und Mäuse, winzige Insekten aus Blechabfällen. Eine silberne Kobra mit ausgebreiteter Haube, die rautenförmig gemustert war. Der hartnäckig unfertige Ibis, dessen Schnabel noch immer nicht die richtige Form hatte.
    Er steckte das Geld und die Ketten ein und nach einem Augenblick des Zögerns auch die Figuren. Sofort holte er sie wieder heraus und stellte sie auf den Tisch zurück. Sollten die nächsten Mieter daraus schlau werden. Was brauchte er schon außer einem Dach über dem Kopf, wenn es regnete? Nichts. Überhaupt nichts.
    Auf der Straße schwindelte ihm, und er fühlte sich völlig ungebunden – als wäre er wieder in der Wüste und könnte sich hinbegeben, wohin immer er wollte. Warum hatte er sich überhaupt mit Arbeely zusammengetan? Die alten Begründungen kamen ihm jetzt fadenscheinig, sogar feige vor, verglichen mit seiner Freiheit. Wohin sollte er gehen? Er blickte zum Himmel empor: Es bewölkte sich. Vielleicht müsste er für die Nacht irgendwo Zuflucht suchen. In der Bowery? Er war seit Wochen nicht mehr dort gewesen, außer um bei Conroy Ketten zu kaufen.
    Er kam an Matthews Haus vorbei und blieb stehen, um sich ein letztes Mal seine Decke anzusehen.
    Im Eingang war es schattig und kühl, die Gaslampen brannten noch nicht. Die Blechdecke schimmerte im frühen Dämmerlicht. Jemand hatte den Zeitungsartikel über die Decke gerahmt und an die Wand gehängt.
Es steht zu hoffen
, so stand zu lesen,
dass die Deckenverkleidung nur die erste von vielen herausragenden Leistungen dieses außergewöhnlichen Talents aus Syrien ist.
    Die auf dem Kopf stehenden Gipfel warfen Schatten auf den Talboden. Wie immer fehlte sein Palast; er konnte den Blick nicht abwenden von der Stelle, an der er hätte sein müssen.
    Plötzlich war seine hektische Energie verflogen. Er wäre nie frei von Little Syria, solange die Decke existierte. Er konnte sie herunterreißen und einschmelzen; aber allein bei diesem Gedanken zuckte er schon zusammen. Na gut – sollten sie die Decke behalten. Arbeely würde sie sehen und sich vielleicht daran erinnern, was der Dschinn für ihn und seinen Lebensunterhalt getan hatte. Und Matthew – auch er würde sie sehen.
    Er trat wieder hinaus auf die Straße. Die Wolken wurden dichter. Keine Besichtigungen mehr; es war Zeit zu gehen.
    Am Rand des Viertels kam er an Saleh vorbei, der mit seiner leeren Eismaschine nach Hause schlurfte. Der alte Mann blieb stehen und drückte sich an die Mauer.
    »Saleh«, sagte der Dschinn. »Was hast du Maryam Faddoul erzählt?«
    Der alte Mann blickte ängstlich drein, aber er sagte: »Nichts, was sie nicht schon wusste.«
    Der Dschinn schnaubte verächtlich. Dann langte er in seine Tasche und holte seinen Wohnungsschlüssel heraus. Er warf ihn Saleh zu, der ihn überrascht auffing. »Ein Abschiedsgeschenk«, sagte der Dschinn. »Die Miete ist bis zum Monatsende gezahlt. Ich bin in der Bowery«, fuhr er fort, als er weiterging, »falls jemand glaubt, mich zu brauchen.«

    Im Schlafsaal im ersten Stock machte sich Yehudah Schaalman für eine weitere nächtliche Jagd bereit. Er zog sich rasch an, huschte die knarzende Treppe hinunter und schlich aus dem Haus.
    Er wollte wieder nach Norden in den Park gehen, in den ihn der Zauber das letzte Mal geführt hatte. Es schien nicht aussichtsreich, aber was sollte er sonst tun? Er hatte so wenige Anhaltspunkte, die Spuren tauchten wie zufällig auf und verschwanden wieder, als handelte es sich um einen ruhelosen Geist …
    Die Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein Blitz, und beinahe wäre er stehengeblieben. Seine Beute, das Ding, nach dem er suchte,
war eine Person.
Die Dächer der Bowery, die Parks – jemand ging nach Lust und Laune durch die Stadt, und Schaalman folgte ihm wie ein Bluthund. Das erklärte auch, warum die Spuren plötzlich abbrachen: Hatte die Person ihr Ziel erreicht, kehrte sie auf demselben Weg nach Hause zurück. Das hieß, dass Schaalman nur eine Spur finden und ihr bis zu ihrem Ursprung folgen musste, wo seine Beute auf ihn warten würde.
    Kaum war er zu dieser Schlussfolgerung gelangt, tauchte wie zur Belohnung eine Spur vor ihm auf. Er blieb überrascht stehen. Er befand sich an der Kreuzung von Hester und Chrystie Street im jüdischen

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