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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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siebenjährigen Jungen erzählt, dass die Seele seiner toten Mutter nach ihrem Körper suchen und ihren Sohn über die Straße jagen wird – niemand, der etwas so Grausames tut, verdient Mitgefühl oder Verständnis.«
    »O mein Gott«, sagte Arbeely. »Stimmt das? Hast du das wirklich zu Matthew gesagt?«
    Der Dschinn bedachte ihn mit einem gekränkten Blick, und Arbeely glaubte, er würde sich erklären. Doch er wandte sich an Maryam und sagte: »Ja, genau so war es. Ich hatte meine Gründe dafür. Warum sollte mir daran gelegen sein, dass Sie sie verstehen – vor allem da Sie mich, wie Sie gesagt haben, von Anfang an nicht mochten? Ich habe Sie nie um Ihr Mitgefühl oder um Ihr Verständnis gebeten, nicht dass Sie geneigt gewesen wären, sie mir zuteil werden zu lassen. Weder Sie noch Mahmoud Saleh, und
du
auch nicht, wenn wir schon dabei sind«, sagte er und schaute zu Arbeely, »können mir vorschreiben, was ich tun soll. Mein Leben gehört mir, und ich tue, was ich will.«
    Sie hielten den Atem an. Wie zwei titanische Naturgewalten starrten sich Maryam und der Dschinn an.
    »Es reicht«, sagte Arbeely. »Wir sind fertig miteinander. Nimm deine Sachen und geh.«
    Ahmad schien ihn zuerst nicht zu verstehen. Dann runzelte er die Stirn. »Wie bitte?«
    »Du hast mich gehört. Verschwinde. Ich löse unsere Partnerschaft auf. Du kannst tun, was du willst, aber nicht hier. Nicht mehr.«
    Ahmad zögerte verwirrt. »Aber – die Sachen für Sam Hosseini sind noch nicht fertig.«
    »Ich werde es Sam erklären«, sagte Arbeely. »Betrachte dich als von aller Verantwortung entbunden. Das sollte dir nicht schwerfallen.«
    Der Dschinn schaute vom wütenden Arbeely zu der triumphierenden Maryam. »Du hast recht«, sagte er. »Ich bin hier fertig.« Er räumte sein Werkzeug auf, wickelte die unfertigen Ketten in ein Flanelltuch und legte es auf die Werkbank. Und dann ging er durch die Tür und war ohne einen Blick zurück verschwunden.
    Chava,
    in der Arbeit gibt es ein paar unaufschiebbare Schwierigkeiten, und ich muss leider hier übernachten. Mach Dir keine Sorgen wegen des Abendessens. Ich esse im Wohnheim. Wir sehen uns morgen.
     
    Dein Mann,
    Michael
    Sie gab dem Botenjungen einen Penny und schloss die Tür, dann las sie die Notiz noch einmal. Michael hatte ihr einmal erzählt, dass er sich immer bemüht hatte, nicht im Wohnheim zu übernachten, weil er befürchtete, dass es dann von ihm erwartet würde. Sie fragte sich, was passiert war, dass er diese Regel brach.
    Sie hatte gerade den Tisch gedeckt; jetzt räumte sie die Teller und Tassen, das Brot und das Schmalz wieder ab, ebenso die Pfanne für die Leber, die er hatte kaufen wollen. Sie hielt inne, die Hand an der Tür des Eisschranks. Er rechnete natürlich damit, dass sie etwas aß. Würde er es bemerken, wenn noch genauso viel Essen da war wie zuvor?
    Zorn stieg in ihr auf – wollte sie seine Reaktionen ewig vorwegnehmen? Sie schlug die Tür heftiger zu, als sie beabsichtigt hatte. Sollte er fragen, würde sie sagen, dass sie keinen Hunger gehabt hätte.
    Sie ging ins Wohnzimmer und nahm ihr Nähzeug. Zumindest müsste sie eine Nacht lang ausnahmsweise nicht seine Ängste und Wünsche ignorieren und auch nicht neben ihm liegen und daran denken zu atmen. Sie spürte, wie sich ihr Körper bei diesem Gedanken entspannte; im nächsten Moment bekam sie Gewissensbisse. Ihr Mann arbeitete die ganze Nacht, und sie hatte nur ihr eigenes Wohlergehen im Sinn. Vielleicht sollte sie ihm das Abendessen bringen, um zu beweisen, dass sie an ihn dachte.
    Sie legte Nadel und Faden weg, runzelte dann rebellisch die Stirn und nahm sie wieder zur Hand. Nein, sie würde zu Hause bleiben. Für eine Nacht wollte sie noch einmal ihr altes Leben führen: nähen mit einem Fenster zwischen sich und der Welt.

    Der Dschinn stand mitten in seiner Wohnung, um zu entscheiden, was er mitnehmen wollte.
    Er würde Little Syria verlassen. Hier gab es nichts mehr für ihn – und was hatte es schon je gegeben? Eine Beschäftigung tagsüber und ein Ort, der ihn vor Regen und Schnee schützte. Mehr nicht. Dennoch, als er sich jetzt in dem kleinen Zimmer umblickte, erstaunte es ihn, wie wenig er angesammelt hatte. Ein paar Hemden und Hosen, zwei Paar Schuhe, ein Mantel. Der schreckliche wollene Hut, auf dem Chava bestanden hatte. Die Kissen auf dem Boden, die er billig und mit wenig Begeisterung gekauft hatte. Ein paar Werkzeuge, die er aus der Werkstatt mitgenommen und irgendwann hatte

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