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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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Wahl hatte. Und sie sollte neugierig sein: Hieß das, dass sie für ihre Entdeckungen, ihre Leistungen nicht selbst verantwortlich war? War ihr nichts eigen, außer was Joseph Schall angeordnet hatte? Und doch, wenn Rotfeld gelebt hätte, wäre sie mehr als nur zufrieden gewesen!
    Sie wird ihm eine bewundernswerte Ehefrau sein, wenn sie ihn nicht zuvor umbringt.
Er hatte also von der Gefahr gewusst und sie dennoch erschaffen. Alles andere würde sie vielleicht eines Tages verstehen können, aber das? Was für ein Mann war das, der ein mörderisches Geschöpf schuf und es exzellent nannte? Der Rabbi hatte es an dem Tag gesagt, als sie sich kennenlernten:
Wer immer Sie erschaffen hat, war brillant und unverantwortlich und ziemlich unmoralisch.
    Er hatte sich vor aller Augen im Wohnheim versteckt. Er war mit ihr die Treppe in ihrer Pension hinuntergegangen, hatte sie wie ein Vater ihrem Bräutigam zugeführt. Hatte er gewusst, dass Rotfeld tot war, und war ihr nach Amerika gefolgt, um mit ihr zu spielen, um sadistisch und grinsend ihr Leben zu belauern? Warum sonst sollte Michael Schalls Zauberbuch haben, wenn Schall es ihm nicht selbst gegeben hatte, damit Michael die Wahrheit herausfand?
    Und jetzt hatte
sie
es. Sie fragte sich, welche Form Joseph Schalls Zorn annehmen würde, wenn er merkte, dass es sich nicht mehr in seinem Besitz befand. Andererseits könnte sie ihn vielleicht mit seinen eigenen Waffen schlagen. Das Buch gehörte Schall, er hatte mit dessen Hilfe schreckliche Dinge getan – doch es konnte nicht per se böse sein, genauso wenig wie ein Messer, mit dem man sowohl Brot schneiden, als auch einen Menschen verletzen konnte, böse war. Es hing alles von dem ab, der es in der Hand hatte, und von seiner Absicht.
    Zögernd begann sie, in den Seiten zu blättern. Sie fand ein von Schall gezeichnetes Schaubild, das beschrieb, wie man seine Gedanken verbarg. Diese Frage zumindest war beantwortet. Mit einer anderen Formel konnte man sich aus dem Gedächtnis einer anderen Person löschen; sie eröffnete Möglichkeiten. Damit konnte sie Schall dazu bringen, sie zu vergessen. Sie stellte sich vor, wie er verwirrt durch die Stadt lief und sich fragte, warum um alles in der Welt er Polen verlassen hatte. Eine elegante Lösung, mit der sich sogar Gewalt vermeiden ließ. Wahrscheinlich verdiente er Schlimmeres.
    Und während sie die Formel betrachtete, kam ihr ein Gedanke. Könnte sie sich auch aus Michaels Gedächtnis löschen? Vielleicht wäre es ein Akt der Freundlichkeit, wenn er vergäße, dass er verheiratet gewesen war, wenn die schreckliche Vision von ihr als dunkles, hoch aufragendes Ungeheuer ausradiert würde. Ohne sie könnte Michael wieder zu dem Mann werden, der er einst gewesen war, erschöpft, aber optimistisch könnte er sich der Verbesserung seiner kleinen Welt widmen. Was wäre ein besserer Zweck für Joseph Schalls Zaubersprüche, als den Schaden wiedergutzumachen, den sein Geschöpf angerichtet hatte?
    Hoffnung, so lange abwesend, keimte in ihr auf und wuchs, genährt von der Aussicht, ihre Fehler korrigieren zu können. Auf der nächsten Seite fand sie einen Zauber, um die Verletzten zu heilen nur mit einem Kraut und einer Berührung. Sie könnte Irving Wasserman aufspüren und den Schaden reparieren, den sie ihm zugefügt hatte. Bei diesem Gedanken fühlte sie sich nahezu körperlich leichter. Sie könnte auch Anna suchen und ihre Erinnerung an jene Nacht auslöschen. Aber würde sie sich ohne diese mahnende Erinnerung nicht wieder mit Irving zusammentun? Sie begann, das Risiko ungewollter Konsequenzen zu ahnen. Auf einer anderen Seite stand
Die Gedanken eines anderen beeinflussen.
Das war die Lösung! Sie würde Anna davon überzeugen, dass der Mann nicht der Richtige für sie war – und so war es ja auch –, und sie dazu bringen, sich in Zukunft vernünftiger zu verhalten.
    Sie blätterte weiter.
Verliebte Schwärmerei unterbinden
las sie und dachte an all die niedergeschlagenen Menschen, die unter ihrem Fenster vorbeigingen, versunken in nicht erfüllbare Sehnsüchte.
Für reichlich Nahrung sorgen:
Es wäre nicht mehr nötig, Knisches zu stehlen, wenn sie den Hungrigen zu essen geben könnte!
Aufenthaltsort einer Person bestimmen, Glück anziehen
 – die Liste ging immer weiter und bot zahllose Möglichkeiten. Sie staunte, wie viel Schmerz sie damit aus der Welt schaffen könnte. Und Joseph Schall hatte nur daran gedacht, einen Golem zu bauen!
    Was war mit Ahmad? Könnte sie auch

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