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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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aber dennoch zu freuen.
    Saleh sah zu den Gebäuden, die den Park einfassten und über die Bäume hinausragten. »Dieses Mal gefällt es mir besser.«
    Der Dschinn lächelte kurz. »Wie du gesagt hast, du warst nicht in Höchstform.«
    Saleh dachte an das große Haus in der Fifth Avenue, den frostigen Garten. »Ich glaube, auch damals wolltest du dich mit einer Frau treffen.«
    »Das war eine andere Frau«, sagte der Dschinn. Ihm schien etwas eingefallen zu sein. Er blieb stehen, schüttelte den Kopf, als würde er sich schämen, und sagte: »Solltest du jemals dort vorbeikommen, möchte ich dich bitten, bei Sophia Winston zu klingeln und dich für mich zu entschuldigen. Für mein Verhalten.«
    »Ich?«
Bei der Vorstellung, dass er an die riesige Tür des Anwesens klopfte, hätte er am liebsten gelacht. War Ahmad klar, dass er nicht einmal Englisch sprach? »Soll ich mich noch bei jemand anderem für dich entschuldigen?«
    »Oh, da gäbe es viele. Aber ausdrücklich belasten will ich dich nur mit Sophia.«
    Von der Droschkenstraße bogen sie auf einen breiten Weg, den zu beiden Seiten riesige Bäume überwölbten. Sie kamen an Statuen von Männern mit ernsten Gesichtern vorbei – Dichter oder Philosophen, den Büchern und Federkielen in ihren Händen und den himmelwärts gerichteten, schwermütigen Blicken nach zu urteilen. Bei ihrem Anblick fiel Saleh etwas ein, und er holte die kleine silberne Figur aus der Tasche. »Das habe ich in deiner Wohnung gefunden«, sagte er. »Es hat mich fasziniert.« Er hielt sie dem Dschinn hin, doch der sagte: »Behalt sie. Das Silber ist was wert.«
    »Du meinst, ich soll sie einschmelzen lassen?«
    »Sie ist nicht gelungen«, sagte der Dschinn. »Sie hat keine Ähnlichkeit.«
    »Ein bisschen schon«, wandte Saleh ein. »Und warum muss die Ähnlichkeit perfekt sein? Vielleicht stellt sie ein völlig neues Tier dar.«
    Der Dschinn schnaubte.
    Sie gelangten ans Ende der Baumreihen, und der Weg führte eine Treppe hinunter und unter einer Brücke hindurch. Und jenseits der Brücke sah Saleh jetzt eine hoch aufragende Gestalt, die mit jedem Schritt besser zu erkennen war: die Statue einer Frau, ihr Kopf im Schatten zwischen einem Paar ausgebreiteter Flügel.
    »Die habe ich in der Nacht damals gesehen«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Ahmad. »Ich dachte, sie wäre der Todesengel, der mich holen wollte.«
    Er spürte, dass Ahmad neben ihm zusammenzuckte. Er wandte sich ihm zu, eine Frage auf den Lippen – und sah, wie der Dschinn die Faust hob, und neben der Faust sein schwach glühendes Gesicht und in seinen Augen ein Blick, der grimmig Abbitte leistete.

    Anna atmete heftig, als wäre sie gelaufen. Sie sah zornig, starrsinnig und ängstlich zugleich aus. »Ich habe mir geschworen, nie wieder in deine Nähe zu kommen«, sagte sie und hielt kurz inne. Dann fragte sie: »Willst du mich nicht reinlassen?«
    Der Golem ließ sie herein und schloss die Tür, immer darauf bedacht, Distanz zu halten; Annas Angst vor ihr war mit den Händen zu greifen.
    Das Mädchen ließ sie nicht aus den Augen. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass du schon da bist«, sagte sie. »Ich wollte auf dich warten.«
    »Anna«, sagte der Golem, »es tut mir so leid. Ich weiß, es ist nicht mehr zu ändern, aber –«
    »Nicht jetzt«, unterbrach Anna den Golem ungeduldig. »Mit Ahmad stimmt irgendwas nicht.«
    Der Golem starrte sie mit offenem Mund an. »Du hast ihn gesehen?«
    »Er war gerade bei mir, mit einer Nachricht für dich.«
    »Aber – er war bei
dir
? Woher wusste er, wo du –«
    »Das ist jetzt nicht wichtig«, sagte Anna rasch. Sie kramte in ihrer Tasche und holte einen Zettel heraus. »Ich habe aufgeschrieben, was er gesagt hat, so gut ich mich erinnern konnte.« Sie hielt ihr den Zettel hin.
    Sag Chava, dass sie in Gefahr schwebt, wegen eines Mannes namens Joseph Schall. Er hat sie erschaffen und ist mein Meister. Es klingt unglaublich, stimmt aber. Sie muss so weit wie möglich von ihm weg. Am besten die Stadt verlassen.
    Sag ihr, dass sie recht hatte. Meine Handlungen haben Konsequenzen, und ich habe sie nie gesehen. Ich habe ihr einmal was gestohlen, weil ich nicht wollte, dass ihr etwas passiert, aber ich hatte kein Recht dazu. Bitte, gib es ihr zurück, und richte ihr aus, dass ich mich von ihr verabschiede.
    »Da«, sagte das Mädchen und reichte ihr ein weiteres Stück Papier, das der Golem nur zu gut kannte. Sie entfaltete es einmal und las:
Der erste Befehl bringt Leben. Der

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