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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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darum zu bitten, freiwillig auf ihren freien Willen zu verzichten. Zweifellos hatte sich Meyer ein aufrichtiges Gespräch mit seinem Schützling vorgestellt, eine feierliche und vernünftige Entscheidung. Schaalman faltete die Formel zusammen, steckte sie in die Tasche und dachte dabei, dass in diesem Fall seine eigenen Methoden denen Meyers überlegen waren. Schließlich wäre eine erzwungene Entscheidung noch immer eine Entscheidung.

Kapitel  28
    D er Golem, der benommen neben Sophias Bett saß, bemühte sich zu verstehen.
    Ahmad erzählte jetzt seit einer Weile leise und müde eine Geschichte von vor langer Zeit: von einem habgierigen Wüstenzauberer und einem jungen Mädchen namens Fadwa al-Hadid. Er beschrieb den Schmerz, den er empfunden hatte, als der Hexer ihn an sich band, und das Gefühl von Fadwas Kehle zwischen seinen Fingern; und wie Ibn Malik von Fadwas Vater getötet wurde, nur um immer wiedergeboren zu werden.
    »Den Rest kennst du«, sagte der Dschinn. Er saß jetzt aufrecht, halb begraben unter feinsten Laken, die Schultern an das geschnitzte Kopfende des Betts gelehnt. »Ibn Malik wurde zu Yehudah Schaalman.«
    »Joseph Schall«, murmelte sie. »Und du hast seine Erinnerungen gesehen.« Seine Hand lag auf der Decke, und der Golem nahm sie und spürte, dass sie sich schwerer als zuvor anfühlte. »Deswegen hast du versucht, dich umzubringen«, sagte sie. »Um durch deinen eigenen Tod Ibn Maliks Leben zu beenden.«
    Er betrachtete sie kummervoll. Und sie begriff: Er rechnete damit, dass sie jetzt, da sie die ganze Wahrheit kannte, bereute, ihn gerettet zu haben. »Hör mir gut zu«, sagte sie. »Das alles hat Ibn Malik getan. Nicht du.«
    »Und Fadwa?«, sagte er. »Wenn ich sie nicht verletzt hätte, wäre das alles nicht passiert.«
    »Du bürdest dir zu viel auf. Ja, an Fadwas Verletzung bist du schuld. Aber Ibn Malik hat nicht auf deine Anweisung hin gehandelt. Und Schaalman kann sich frei entscheiden.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Ahmad. »Ich habe seine Leben gesehen, und sie verliefen alle nach demselben Muster. Als könnte er sich nicht von seiner Veranlagung befreien.«
    Der Golem verzog den Mund. »Du meinst, er kann sich nicht dagegen entscheiden, Böses zu tun?«
    »Wir sind, wie wir sind«, sagte der Dschinn leise.
    Sie wollte etwas dagegen einwenden, doch wohin würde das führen, außer dass sie mit dem Finger auf sich selbst zeigen müsste? Frustriert stand sie auf und machte ein paar Schritte. »Ja, du warst egoistisch und leichtsinnig mit Fadwa«, sagte sie. »Aber die Schuld am Rest der Geschichte liegt nicht bei dir, Veranlagung hin oder her. Wenn es Schaalman nicht geben würde, gäbe es auch mich nicht. Bist du deswegen verantwortlich für meine Taten, die guten wie die schlechten? Du kannst dir nicht die einen aussuchen und die anderen vergessen.«
    Er lächelte schwach. »Wahrscheinlich nicht«, sagte er. Dann wurde er wieder ernst. »Verstehst du jetzt, warum ich nicht weiterleben kann?«
    »Nein.«
    »Chava.«
    »Du hast mich einmal davon abgehalten, mich zu zerstören. Wir werden einen anderen Weg finden.«
    Er zuckte zusammen, erwiderte jedoch nichts, sondern blickte auf ihre Hand, die wieder seine hielt. Jemand klopfte an die Tür. Es war Sophia, die einen Stapel gefalteter Kleidung mitbrachte. Im Flur hinter ihr standen Dienstboten, die neugierig ins Zimmer schauten; sie schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.
    »Hallo, Sophia«, sagte der Dschinn leise.
    Sie lächelte. »Du siehst besser aus.« Sie legte den Kleiderstapel aufs Bett. »Mein Vater ist nicht so groß wie du, aber sie werden hoffentlich trotzdem passen.«
    »Sophia«, sagte er. Er klang bedrückt, und es war klar, dass er sich entschuldigen wollte – weil er sie in diese Lage gebracht hatte oder für etwas, was früher geschehen war, der Golem konnte nur Vermutungen anstellen –, doch Sophia unterbrach ihn bestimmt: »Dr. Saleh erfrischt sich im Gästetrakt«, sagte sie. »Wir sollten zu ihm gehen, wenn du dich dazu in der Lage fühlst.«
    Ahmad nickte kleinlaut.
    »Ich fürchte, wir haben Ihnen große Unannehmlichkeiten bereitet«, sagte der Golem.
    »Möglicherweise«, sagte Sophie, doch sie wirkte seltsam unbekümmert, ja glücklich. »Trotzdem bin ich froh, dass ihr gekommen seid.« Sie wandte sich Ahmad zu. »Du hättest es mir sagen sollen.«
    Er seufzte. »Hättest du es geglaubt?«
    »Nein, wahrscheinlich nicht. Aber du hättest es versuchen können.«
    Der Dschinn zögerte und

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