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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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erschrockenen und zugleich neugierigen Gesichtern. Sophia sagte: »Vielleicht sollten wir in kleinerem Kreis darüber sprechen. Wir bringen ihn in mein Schlafzimmer. Dort sollte auch ein Feuer brennen.«
    Ein Hausmädchen kam mit einer dicken Wolldecke herein, die sie Sophia reichte; anschließend wich sie sofort ängstlich zurück. Die große Frau und der zerlumpte Mann wickelten ihren halb bewusstlosen Schützling darin ein, hoben ihn auf die Füße und stützten ihn zu beiden Seiten. Sophia legte der Frau eine beruhigende Hand auf den Arm, und dann verließ die Gruppe unter wachsamen Blicken das Speisezimmer. »Vater, ich werde nachher mit dir sprechen«, sagte sie, als sie hinausgingen.
     
    Sie legten ihn in Sophias Bett und schoben eine kupferne Wärmflasche unter die Decken. Der zerlumpte Mann – ein Dr. Saleh, der nur Arabisch sprach – legte mehr Holz aufs Feuer. Bald war das Zimmer so warm, dass auch Sophia sich wohlfühlte. Dann sprachen Dr. Saleh und die Frau, die offenbar Chava hieß, leise miteinander und blickten dabei häufig zu Sophia.
    »Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass wir Sie hineingezogen haben«, sagte die Frau schließlich zu ihr, »aber wir hatten keine Wahl, Ahmads Leben war in Gefahr.« Sie hielt inne. »Ich nehme an, Sie wissen, was er ist?«
    »Ich glaube schon«, sagte Sophia. »Und sind Sie das auch?«
    Die Frau wurde plötzlich unsicher und wandte den Blick von ihr. »Nein«, sagte sie. »Ich bin … etwas anderes. Ein Golem.«
    Sophia hatte keine Ahnung, was das bedeutete, wusste aber nicht, wie sie es in Worte fassen sollte, deswegen nickte sie nur. »Bitte, erzählen Sie mir, was passiert ist.«
    Und die große Frau erzählte die Geschichte. Sophia hatte das Gefühl, dass sie einige Einzelheiten ausließ, hörte jedoch konzentriert zu, als sie beschrieb, wie sie den Dschinn im Bethesda-Brunnen gefunden hatte. »Aber dort habe ich ihn kennengelernt«, sagte Sophia verwirrt. »Und ich verstehe immer noch nicht – warum hat er es getan?«
    »Ihr könnt aufhören über mich zu reden, als wäre ich nicht dabei«, murmelte eine Stimme aus dem Bett.
    Die große Frau war als Erste an seiner Seite – sie bewegte sich so unglaublich schnell! »Hallo, Ahmad«, sagte sie leise.
    »Chava«, sagte er. »Du hättest mich nicht retten sollen.«
    »Sei nicht albern. Zu viel ist schon verloren.«
    Ein harsches Lachen. »Du weißt ja gar nicht, wie recht du hast.«
    »Schscht.« Sie nahm seine Hand und drückte sie, als wollte sie sich vergewissern, dass er wirklich da war; und Sophia kam sich plötzlich wie ein Eindringling in ihrem eigenen Schlafzimmer vor.
    Der Dschinn entdeckte Dr. Saleh und sagte etwas auf Arabisch zu ihm, sein Tonfall klang verzweifelt. Der Doktor vergalt es ihm mit einer barschen, sarkastischen Bemerkung, dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. Sophia fiel auf, dass er etwas kränklich aussah. Die Frau namens Chava stellte ihm eine Frage, und er antwortete abweisend; aber es war klar, dass ihm die Hitze im Zimmer nicht gut bekam.
    »Ich fürchte, Dr. Saleh hat einen anstrengenden Morgen hinter sich und noch nichts gegessen«, sagte Chava.
    »Natürlich. Ich werde mit ihm nach unten gehen und dafür sorgen, dass man sich um ihn kümmert.«
    Chava blickte in die Ferne und sagte: »Sie könnten auch allen am Fuß der Treppe versichern, dass wir nicht vorhaben, Sie zu ermorden, und es nicht nötig ist, die Tür aufzubrechen.«
    Sophia starrte sie an. »Was, wirklich?«
    »Ja, leider.«
    »Ich danke Ihnen für diese Warnung«, sagte sie und beschloss, so schnell wie möglich herauszufinden, was ein Golem ist.
    Sie ging mit Dr. Saleh in die Küche und verlangte vom Personal unmissverständlich, ihm etwas zu essen zu geben und sich um ihn zu kümmern. Die Dienstboten starrten sie an, als wären ihr Hörner gewachsen, doch sie nickten und machten sich emsig zu schaffen. Geflüster folgte ihr, als sie die Küche verließ.
    Oben wurde ihr mitgeteilt, dass ihre Eltern in der Bibliothek auf sie warteten. Sie beschloss, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Die Dienstboten würden klatschen, und ihr Ruf würde mit großer Sicherheit darunter leiden. Warum die Verlobung nicht jetzt auflösen, bevor sie in Schimpf und Schande endete? Und vielleicht wäre es am besten, wenn sie verreisen würde, während die Gerüchte ihre Runde machten. Indien, Südamerika, Asien. Die wärmeren Regionen.
    Sie versuchte, ihr Lächeln zu verbergen, als sie die Tür zur

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