Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Andererseits hatte er auch keine Ahnung, was er zu ihr sagen sollte. Alles, was ihm einfiel, war entweder zu trivial oder zu endgültig. Wenn alles gut ging, wenn der Plan funktionierte, würde er sie nie wiedersehen.
»Wird es wehtun?«, fragte sie plötzlich. »Wieder in der Flasche zu sein. Wird es wehtun?«
»Nein«, sagte er. »Zumindest erinnere ich mich nicht an Schmerzen.«
»Vielleicht hat es wehgetan«, murmelte sie tonlos. »Tausend Jahre lang. Und du erinnerst dich nur nicht daran.«
»Chava –«
»Nein, sag nichts. Ich werde dir helfen, weil wir etwas unternehmen müssen, um zu verhindern, dass Schaalman dich findet und benutzt. Aber glaub bloß nicht, dass ich es gern tue. Du machst mich zu deiner Kerkermeisterin.«
»Du bist die Einzige, die die Kraft hat, mich in der Flasche einzuschließen. Ibn Malik war danach vollkommen geschwächt. Jemanden wie Saleh würde es wahrscheinlich umbringen.«
»Niemand bittet ihn darum –«
»Natürlich nicht! Ich wollte doch nur sagen …« Er hielt seufzend inne. »Ich weiß, um wie viel ich dich bitte. Du musst New York verlassen und nach Syrien reisen. Die Überfahrt auf dem überfüllten Schiff wird nicht sehr angenehm für dich sein.«
»Die Überfahrt ist das Geringste«, sagte sie. »Was ist, wenn deine Artgenossen dich nicht vor ihm schützen können? Was, wenn es keine Dschinn mehr gibt?« Er zuckte zusammen, und sie fuhr fort. »Ich weiß, aber wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen. Soll ich dich dann im Wüstensand vergraben und das Beste hoffen?«
»Ja, wenn es nicht anders geht. Und dann lass mich allein. Geh weit weg, so weit du kannst. Ich will nicht, dass du mich verteidigst. Er mag nicht dein Meister sein, aber er kann dich trotzdem zerstören.«
»Aber wohin soll ich gehen? Neu anfangen, irgendwo – ich kann es mir nicht vorstellen. Ich bin nicht wie du. Ich kenne nur New York.«
»Es wird nicht für lange sein. Er hat nicht mehr viel Zeit. Höchstens noch ein paar Jahre.«
»Und danach? Soll ich die Welt nach seinen Reinkarnationen absuchen und sie in der Wiege ermorden?«
»Das traue ich dir nicht zu.«
»Nein?«
»Du könntest so etwas tun? Wirklich?«
Nach einer Weile sagte sie: »Nein. Obwohl ich weiß … nein.«
Sie schwiegen. Der Einspänner kroch dahin und erreichte endlich das südliche Ende des Parks. Sie bogen nach Westen ab, und die Luft war erfüllt von dem Geruch der Bäume jenseits der Mauer.
Schließlich fragte er: »Wird Michael es ohne dich schaffen?« Er hatte vergeblich versucht, sich nichts anmerken zu lassen, als er den Namen aussprach.
»Michael wird besser dran sein, wenn ich weg bin. Ich hoffe, dass er mir eines Tages vergeben wird.« Sie blickte zu ihm. »Ich habe dir noch nicht erzählt, warum ich ihn geheiratet habe.«
»Vielleicht will ich es gar nicht wissen«, murmelte er.
»Du hast das Papier aus meinem Medaillon genommen. Ich konnte mich nicht zerstören. Ich musste in dieser Welt leben, und ich hatte furchtbare Angst. Und so habe ich mich hinter Michael versteckt. Und versucht, ihn zu meinem Meister zu machen. Ich habe ehrlich geglaubt, dass es das Beste wäre.«
Er hörte die Selbstvorwürfe in ihrer Stimme. »Du hattest Angst«, sagte er.
»Ja, und in meiner Angst habe ich den schlimmsten, selbstsüchtigsten Fehler meines Lebens gemacht. Wie kannst du mir also dein Leben anvertrauen?«
»Ich vertraue dir mehr als allen anderen«, sagte er. »Mehr als mir selbst.«
Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich dann an ihn, als suchte sie Zuflucht bei ihm. Er zog sie an sich, ihr Kopf reichte ihm bis zur Wange. Aus dem Fenster des Hansom sahen sie New York, ein endloser Rhythmus aus Mauern, Fenstern und Türen, dunklen Seitenstraßen und hellen Sonnenflecken. Wenn er einen einzigen Augenblick in die Flasche mitnehmen könnte, einen Augenblick, in dem er ewig leben müsste, würde er vielleicht diesen Augenblick wählen: die vorbeiziehende Stadt und die Frau an seiner Seite.
Es war mitten am Vormittag, die betriebsamste Stunde im Kaffeehaus. Auf den Tischen draußen auf dem Gehweg klackten Backgammon-Steine; drinnen unterhielten sich Männer über Geschäfte.
Arbeely saß allein da und drehte seine Kaffeetasse in der Hand. In der Werkstatt war es zu ruhig gewesen, die Stille hatte ihm in den Ohren gedröhnt. Sein Blick war immer wieder von seiner Arbeit zu Ahmads leerer Bank geschweift, und er hatte sich ermahnt, dass er auch ohne seinen Partner gute Geschäfte gemacht hatte
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