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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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gekränkt.«
    »Sie dringen auf unser Anwesen und in meine Privatsphäre ein, um sich zu entschuldigen?«
    »Ja.«
    »Ich könnte schreien. Ich könnte Sie verhaften lassen.«
    Er stimmte dem schweigend zu. Sie starrten einander an.
    Schließlich gab sie nach. »Na gut. Wenn Sie so viel riskieren, um sich zu entschuldigen, dann ist es vermutlich nur fair, wenn ich Ihnen verzeihe. So, also. Ich verzeihe Ihnen. Sie können wieder gehen.«
    Er nickte, verneigte sich vor ihr und griff dann mit der elegantesten Bewegung, die Sophia je gesehen hatte, nach dem Geländer und sprang darauf. Er schaute zum nächsten Balkon, und ihr wurde klar, dass er sich zum Sprung bereit machte.
    »Warten Sie!«, rief sie.
    Er erstarrte, schwankte etwas und streckte die Hand, um sein Gleichgewicht wiederzufinden; und sie schauderte bei dem Gedanken, dass sie ihn beinahe umgebracht hätte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie, »es ist nur – ich möchte nur wissen – wie Sie heißen.«
    Er schien einen Augenblick über die Frage nachzudenken und sagte dann: »Ahmad.«
    »Ahmad«, wiederholte sie. »Woher kommen Sie?«
    »Sie kennen das Land unter dem Namen Syrien.«
    »
Ich
kenne es als Syrien? Wie würden
Sie
Ihr Land nennen?«
    »Heimat«, antwortete er.
    Er stand lässig auf der breiten Brüstung und schien den Abgrund unter sich nicht zu bemerken. Wieder schlich sich bei ihr das Gefühl ein, dass alles irreal war, als wäre er einfach aus einer Geschichte getreten. Als wäre alles nicht wirklich.
    »Ahmad. Können Sie mir etwas sagen? Und um Himmels willen kommen Sie herunter, bevor Sie stürzen.«
    Er lächelte und sprang zurück auf den Balkon. »Was soll ich Ihnen sagen?«
    »Erzählen Sie mir, wie es in Ihrer Heimat ist. Wo haben Sie gelebt?«
    Sie erwartete, dass er eine Stadt nannte, stattdessen sagte er: »In der Wüste.«
    »In der Wüste! Ist das nicht gefährlich?«
    »Nur wenn man nicht aufpasst. Die Wüste ist wild, aber nicht unbezwingbar.«
    »Ich habe Bilder davon gesehen«, sagte sie, »in den Zeitschriften meines Vaters. Aber sie werden ihr bestimmt nicht gerecht.«
    Beide erschraken über ein plötzliches Geräusch. Jemand klopfte an ihre Schlafzimmertür. Der Mann duckte sich, als wollte er wieder auf die Brüstung springen.
    »Warten Sie«, flüsterte sie.
    Leise schlich sie zurück ins Schlafzimmer. Sie legte sich aufs Bett, brachte die Laken durcheinander, damit es aussah, als hätte sie geschlafen. »Einen Moment«, rief sie, ließ den Kopf nach unten hängen und schüttelte ihn heftig, zerzauste sich dabei das Haar und hoffte, dass sich ihre Wangen röteten. Sie stand wieder auf, setzte eine lustlose, leidende Miene auf und öffnete die Tür.
    Ein Mädchen mit einem Armvoll Bettwäsche stand vor der Tür. Sie schaute auf Sophia, die noch immer Morgenrock und Schultertuch trug, und riss beunruhigt die Augen auf. »Miss Sophia, Ihre Mutter sagt, dass in einer halben Stunde die Gäste kommen.«
    »Maria, leider fühle ich mich nicht wohl.« Sophia stöhnte. »Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Würden Sie meiner Mutter bitte ausrichten, dass ich mich ein wenig ausruhen muss. Ich verspreche, dass ich dann zum Fest hinunterkommen werde.«
    »Was?«, rief eine Stimme. Beide Frauen zuckten zusammen, als Julia Hamilton Winston, eine der respekteinflößendsten Doyennen der New Yorker Gesellschaft, in einem weiten blauen Kleid den Flur entlanggesegelt kam, das Haar noch auf Stoffbänder gewickelt.
    »Mutter«, bat Sophia, als die Frau sich ihnen näherte, »ich fühle mich wirklich nicht wohl. Es tut mir leid.«
    »So ein Unsinn. Beim Abendessen ging es dir hervorragend.«
    »Es kam ganz plötzlich, mein Kopf platzt gleich.«
    »Dann nimm ein Aspirin«, fuhr ihre Mutter sie an. »Ich habe weiß Gott genügend Feste über mich ergehen lassen mit Kopfschmerzen, morgendlicher Übelkeit und allen möglichen Krankheiten. Du hältst einfach nichts aus, Sophia. Und du drückst dich vor deinen Verpflichtungen.«
    »Bitte«, sagte Sophia. »Nur eine halbe Stunde, länger brauche ich nicht. Wenn ich ein bisschen schlafen kann, wird es mir besser gehen. Und wenn ich hier noch lange stehen muss, werde ich mich übergeben müssen.«
    »Hmm.« Ihre Mutter legte Sophia die Hand auf die Stirn. »Du fühlst dich wirklich ein bisschen heiß an.« Sie nahm die Hand fort und seufzte, ihre Miene noch immer misstrauisch. »Aber nur eine halbe Stunde. Hast du verstanden? Sonst wird dich Maria aus dem Bett werfen.«
    »Ja, Mutter.

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