Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Wohnung seinen Onkel eigentlich gekannt? Warum durfte er die Totenwache halten und nicht Michael? »Sie haben ihn gefunden«, sagte er, und sie nickte. »Tut mir leid«, fuhr er fort und hasste sich dafür, aber er musste es wissen, »es geht mich nichts an, aber waren Sie und er –«
»Nein, nein, überhaupt nicht«, sagte sie rasch. »Wir waren … nur gute Freunde. Er war sehr freundlich zu mir. Freitags haben wir immer zusammen zu Abend gegessen.«
»Ich hätte Sie nicht fragen dürfen.«
»Doch, doch«, sagte sie und fuhr dann leiser fort: »Alle anderen glauben es auch.«
Sie standen in der Tür unter dem Krepp, zwei Verstoßene.
»Ich habe mich nie bei Ihnen bedankt«, sagte er. »Für die Makronen.«
Die Andeutung eines Lächelns. »Ich freue mich, dass sie Ihnen geschmeckt haben.«
»Dann gefällt es Ihnen in der Bäckerei?«
»Ja. Sehr gut.«
Schweigen.
»Wann ist die Beerdigung?«, fragte sie.
»Morgen.«
»Ich werde nicht kommen dürfen«, sagte sie, als wollte sie von ihm eine Bestätigung.
»Nein.« Er seufzte. »Frauen dürfen nicht dabei sein. Ich wünschte, es wäre anders.«
»Dann sagen Sie ihm bitte von mir Lebewohl«, murmelte sie und wandte sich zum Gehen.
»Chava«, sagte er. Sie blieb stehen, einen Fuß auf der Treppe, und Michael wurde klar, dass er sie fragen wollte, ob sie mit ihm einen Kaffee trinken würde. Sofort schämte er sich: Nur ein paar Meter entfernt lag sein toter Onkel. Sie trauerten beide um ihn. Es wäre unschicklich.
»Möge Gott dich mit allen Trauernden Zions und Jerusalems trösten«, zitierte er den alten Spruch, an den er sich unwillkürlich erinnert hatte.
»Und dich auch«, sagte sie. Und dann ließ sie ihn allein mit seinen Gedanken in der Dunkelheit des Flurs.
»Ich habe gestern Abend eine interessante Frau kennengelernt«, sagte der Dschinn zu Arbeely.
»Ich will es gar nicht wissen«, entgegnete Arbeely. Sie schmiedeten gemeinsam Bratpfannen. Arbeely formte sie, der Dschinn glättete sie und gab ihnen den letzten Schliff. Die langweiligen Handgriffe wiederholten sich endlos, aber allmählich fanden sie einen Rhythmus.
»Es war nicht, wie du denkst«, sagte der Dschinn. Nach einer Pause fragte er: »Was ist ein Golem?«
»Ein was?«
»Ein Golem. So hat sie sich bezeichnet. Sie hat gesagt: ›Ich bin ein Golem.‹«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Arbeely. »Bist du sicher, dass sie nicht
Polin
gesagt hat?«
»Nein, Golem.«
»Da kann ich dir nicht weiterhelfen.«
Sie arbeiteten eine Weile schweigend weiter. Dann fuhr der Dschinn fort: »Sie ist aus Lehm.«
»Wie bitte?«
»Ich habe gesagt, sie ist aus Lehm.«
»Dann habe ich doch richtig gehört.«
»Ist das merkwürdig? Hast du so was noch nie gehört?«
Arbeely schnaubte. »Merkwürdig? Es ist unmöglich!«
Der Dschinn hob eine Augenbraue und packte mit der bloßen Hand Arbeelys Eisen am glühend heißen Ende.
Arbeely seufzte. Er hatte verstanden. »Bist du ganz sicher? Wie sah sie aus?«
»Helle Haut. Dunkles Haar. Ungefähr so groß wie du, schlicht gekleidet.«
»Dann sah sie also nicht aus wie eine Frau aus Lehm?«
»Nein. Dir wäre nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«
Arbeely holte tief Luft, um zu widersprechen, aber der Dschinn sagte: »Es reicht, Arbeely, sie ist aus Lehm. Ich weiß es so sicher, wie ich weiß, dass ich aus Feuer bin und du aus Fleisch und Blut.«
»Na gut, aber so etwas ist schwer zu glauben. Was hat sie dir noch erzählt, diese Lehmfrau?«
»Sie hat gesagt, dass sie Chava heißt.«
Arbeely runzelte die Stirn. »Das ist kein syrischer Name. Wo hast du sie getroffen?«
»In einem Elendsviertel nahe der Bowery. Dort sind wir uns über den Weg gelaufen.«
»Was hast du in der – egal, ich will es gar nicht wissen. War sie allein?«
»Ja.«
»Dann ist sie sehr unvorsichtig. Oder sie hat vielleicht keinen Grund zur Vorsicht.«
»Sie war keine Prostituierte, falls du das meinst.«
»Vielleicht solltest du mir die ganze Geschichte erzählen.«
Der Dschinn schilderte seine Begegnung mit der Frau aus Lehm von Anfang bis Ende. Arbeely hörte zu und fühlte sich zunehmend unbehaglich. »Und sie hat dich auch als – anders erkannt?«
»Ja, aber sie wusste nicht, was ein Dschinn ist.«
»Und du hast es ihr
erklärt
? Warum?«
»Damit sie nicht davonläuft. Aber das hat sie trotzdem getan.«
»Und du bist ihr nach Hause gefolgt? Wo wohnt sie?«
»Östlich der Bowery.«
»Ja, aber in welchem
Viertel?
Woher kommt sie?«
»Ich habe keine
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