Golem XIV
meines Erachtens daher, daß wir jedwede Synthese zwischen der Physik und dem Willen als unzulässig, ich möchte sagen, als obszön für die rationale Vernunft betrachten. Denn eine Projektion des Willens sind ja alle die uralten Kosmogonie-Mythen, die mit salbungsvollem Ernst und in der Tonart dieser schlichten Einfalt, die das verlorene Paradies des Menschentums ist, offenbaren, wie das Sein aus dem Kampf demiurgischer Urelemente entstanden sei, die von den Überlieferungen in verschiedene Körper und Formen gehüllt wurden, wie die Welt entsprossen sei aus der haßliebenden Umschlingung von Gott-Tieren, Gott-Geistern oder Übermenschen; und der Verdacht, gerade diese Fehde, die ja die purste Abbildung vermenschlichenden Denkens auf den Bereich des kosmischen Rätsels ist, gerade die Rückführung der Physik auf Begierden hätte dem Autor als Vorbild gedient – dieser Verdacht läßt sich nicht mehr austilgen.
So gesehen, erweist sich die Neue Kosmogonie als unsäglich alte Kosmogonie, und der Versuch, sie in der Sprache der Empirie darzulegen, erscheint gleichsam als Blutschande, als das Resultat platter Unfähigkeit, Begriffe und Kategorien gesondert zu halten, die sich nicht zur einförmigen Verbindung zusammenschließen dürfen. Dieses Buch erreichte damals einige wenige bedeutende Denker, und ich weiß jetzt, weil ich das von manch einem gehört habe, daß es so und nicht anders gelesen wurde: mit Ärger, Gereiztheit, verächtlichem Achselzucken, so daß wohl niemand das Buch zu Ende las. Man sollte sich nicht allzusehr entrüsten über solche Vorauswisserei, über solche Trägheit der Vorurteile, denn mitunter sieht die Sache fürwahr nach einer doppelten Tölpelei aus: verkappte Götter, getarnt als materielle Wesen, bietet sie uns in der trockenen Sprache sachlicher Feststellung dar – und bezeichnet zugleich die Naturgesetze als die Folgen des Konflikts zwischen ihnen. Im Effekt werden wir um alles auf einmal gebracht: um den Glauben, im Sinne einer im Vollkommenen gipfelnden Transzendenz, wie auch um die Wissenschaft, um ihren soliden, weltlichen und objektiven Ernst. Letztlich bleibt uns nichts: alle Ausgangsbegriffe zeigen völlige Unbrauchbarkeit auf beiden Seiten; wir fühlen uns barbarisch behandelt, bestohlen im Rahmen einer Einweihung, die weder religiös noch wissenschaftlich ist.
Die Verheerung, die dieses Buch in meinem Geist angerichtet hat, vermag ich nicht zu beschreiben. Gewiß doch, es ist die Pflicht des Gelehrten, ein ungläubiger Thomas in der Wissenschaft zu sein; jede ihrer Behauptungen darf angezweifelt werden – aber alle auf einmal in Frage stellen, das geht denn doch nicht! Acheropoulos entzog sich der Entdeckung seiner Größe, nicht mit Vorbedacht freilich, doch überaus nachhaltig! Das war ein Sohn aus einem kleinen Volk, den niemand kannte; weder auf dem Boden der Physik noch auf dem der Kosmologie verkörperte er gediegene Fachkompetenz; und schließlich – um das Maß übervoll zu machen – hatte er keine Vorgänger, ein nie gekannter Fall in der Geschichte, denn jeder Denker, jeder geistige Revolutionär besitzt irgendwelche Lehrer, er schreitet über sie hinaus, zugleich aber beruft er sich auf sie. Doch dieser Grieche ist allein gekommen; von der Einsamkeit, die solchem Vorläufertum zuteil werden mußte, zeugt sein ganzes Leben.
Ich habe ihn nie gekannt und weiß nicht viel über ihn; die Art, wie er sich sein Brot verdiente, war ihm immer gleichgültig; die erste Fassung der »Neuen Kosmogonie« schrieb er mit dreiunddreißig Jahren, bereits als Doktor der Philosophie, aber er konnte das Werk nirgends veröffentlichen; den Mißerfolg seiner Idee, den Mißerfolg zu seinen Lebzeiten, ertrug er mit stoischer Gelassenheit; seine Versuche, die »Neue Kosmogonie« zu publizieren, gab er sehr bald auf, er sah ein, daß sie vergeblich waren. Der Reihe nach war er dann Pförtner derselben Universität, an der er durch eine vorzügliche Arbeit über vergleichend betrachtete Kosmogonien der Völker des Altertums den Doktorgrad der Philosophie erlangt hatte, studierte im Fernunterricht Mathematik und arbeitete zugleich als Bäckergehilfe, dann als Wasserer; von den Leuten, mit denen er zusammentraf, hörte keiner von ihm ein einziges Wort über die »Neue Kosmogonie«. Er war zurückhaltend und dem Vernehmen nach rücksichtslos gegen die Seinen und gegen sich selbst. Und gerade diese Rücksichtslosigkeit beim Aussprechen von Dingen, die gleichzeitig der Wissenschaft und dem
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