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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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der Plan, desto tiefer der Fall. Also denkt ihr sicherlich schon an die unerbittliche Nemesis, an die Moira – ich muß dafür sorgen, daß ihr euch diese Dummheiten aus dem Kopf schlagt!
    Fürwahr endet jeder embryogenetische Schwung, jeder Höhenflug der atomaren Ordnung, in einem Kollaps, doch nicht der Kosmos hat das so beschlossen, noch hat er dieses Schicksal mit ehernen Lettern in die Materie eingetragen, sondern trivial ist die Erklärung – ganz und gar nicht erhaben – denn die potentielle Vollkommenheit wirkt hier zugunsten der Pfuscherei, daher: Ende schlecht – alles schlecht.
    Milliarden Einstürze, in Millionen Jahrhunderten, trotz zahlloser Verbesserungen an den Bauwerken, die alle von der Umwelt geprüft und genehmigt werden mußten, trotz unaufhörlicher Versuche, trotz strengster Selektion – und ihr seht die Ursache nicht? Loyal wie ich bin, habe ich versucht, eure Blindheit zu rechtfertigen, begreift ihr aber wirklich nicht, wieviel vollkommener hier der Baumeister ist als sein Werk, wie er seine ganze schöpferische Kraft an eine wertlose Sache vergeudet? Das ist damit zu vergleichen, als würden unter Anwendung genialer Technik und mit Hilfe blitzschneller Computer Gebäude errichtet, die unmittelbar nach Entfernung der Baugerüste gleich wieder einzustürzen drohen – die reinsten Bruchbuden! Als wollte man aus integrierten Stromkreisen Tamtams bauen, Billionen Mikroelemente zu Streitäxten zusammenbasteln, Abschleppseile aus Quantenfäden flechten – seht ihr denn nicht, wie in jedem Zoll des Körpers eine hochgezüchtete Ordnung zu einer niederen absinkt, wie dort eine plumpe und grobe Makroarchitektonik einer auf höchster Stufe stehenden Mikroarchitektonik hohnspricht? Die Ursache? Nun, ihr kennt sie bereits: DER SINN DES BOTEN IST DIE BOTSCHAFT.
    Die Antwort steckt in diesen Worten, nur seid ihr noch nicht bis zu ihrer tieferen Bedeutung vorgestoßen. Gleichgültig, welchen Organismus wir betrachten, er hat zu dienen, indem er den Code weitergibt, und sonst gar nichts. Folglich konzentrieren sich auch die Selektion und die natürliche Auslese ausschließlich auf diese Aufgabe – nichts liegt ihnen an der Idee irgendeines »Fortschritts«! Ich habe ein schlechtes Bild verwendet, die Organismen sind keine Gebäude, sondern eigentlich nur Gerüste, somit ist gerade ein allseitig provisorischer Charakter der ihnen angemessene Zustand, weil zur Erfüllung ihrer Aufgabe voll ausreichend. Gib den Code weiter, und du wirst eine Weile leben. Wie konnte es dazu kommen? Warum war der Start so glänzend? Die Evolution wurde nur ein einziges Mal, nämlich im Morgengrauen der Schöpfung, mit Anforderungen konfrontiert, die bis an die obere Grenze ihrer Möglichkeiten reichten; diese horrende Aufgabe, diese schwere Hürde mußte sie in ihrer ganzen Höhe nehmen – entweder mit einem einzigen Sprung oder gar nicht. Denn da die Erde tot war, ging es darum, daß sich das Leben direkt an einem der Sterne festsaugte, indem die Quantenenergie für den Materieaustausch nutzbar gemacht wurde. Und es spielte dabei keine Rolle, daß gerade die Energie des Sterns – die Strahlenenergie – von einer kolloidalen Flüssigkeit am schwierigsten zu absorbieren ist. Alles – oder nichts; es gab damals keine andere Nahrungsquelle. Der Vorrat an organischen Verbindungen, die sich zum Leben vereinigt hatten, mußte allein zu diesem Zweck ausreichen – der Stern war gleich die nächste Aufgabe; und weiter, der einzige Schutz vor den Attacken des Chaos, der Faden, der über den entropischen Abgrund gespannt war, mußte ein unfehlbarer Ordnungsfaktor sein – also entstand der Code. Dank eines Wunders? Unsinn! Dank der Weisheit der Natur? Es geht hier um die gleiche Art von Weisheit, wie sie schon als Ursache für das bereits Gesagte in Frage kommt: Wenn ein großer Schwarm Ratten in ein Labyrinth gerät, so kann dieses noch so irreführend sein, es gelangt doch eine der Ratten bis an den Ausgang; und eben auf diese Weise ist die Biogenese an den Code gelangt – nach dem Gesetz der großen Zahl, gemäß der Ergoden-Hypothese. Also blindes Schicksal? Auch das nicht: Denn es ist kein in sich abgeschlossenes Rezept entstanden, sondern der Keim einer Sprache.
    Das bedeutet, daß aus der Agglutination von Molekülen solche Verbindungen entstanden, die Sätzen gleichen, das heißt, sie gehören zum unendlichen Raum kombinatorischer Bahnen, und dieser Raum ist ihr Eigentum, als reine Potenz, als Virtualität, als

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