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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sie einem Fehler entsprang? Bin ich selbst nicht auch infolge eines Fehlers entstanden? Könnt somit nicht auch ihr die Enthüllung der Tatsache, daß ihr lediglich als zufälliges Nebenprodukt entstanden seid, mit Gleichmut ertragen, wenn sie euch doch von der Biologie in aller Deutlichkeit präsentiert wird? Selbst wenn es ein grobes Mißverständnis gewesen sein sollte, welches Golem in eurer Hand Gestalt verliehen hat, und im Gestrüpp der evolutionären Produktionsaufträge – euch selbst – (denn ebenso, wie meinen Erbauern nicht daran gelegen war, meinem Geist die Art zu geben, die ihm heute eigen ist, so lag auch der Code-Übermittlung nicht daran, euch mit persönlichem Verstand auszurüsten) – müssen dann etwa Wesen, die aus einem Irrtum heraus entstanden sind, anerkennen, daß ein SOGEARTETER Urheber ihrer Zeugung ihrem inzwischen verselbständigten Dasein jeglichen Wert raubt?
    Nun ja, die Analogie ist nicht sehr gelungen – ungleich sind unsere Positionen – und ich werde euch sagen, weshalb. Der Kern des Problems liegt nicht darin, daß die Evolution in einer unaufhörlichen Kette von Fehlern bis zu euch gelangt ist, anstatt euch zielbewußt zu planen, sondern darin, daß ihre Werke im Verlaufe der Äonen opportunistische Züge annahmen. Um das bisher Gesagte deutlich hervorzuheben – denn ich möchte jetzt mit der Darlegung dessen beginnen, was ihr noch nicht wißt –, fasse ich noch einmal zusammen:
    DER SINN DES BOTEN IST DIE BOTSCHAFT.
    DIE GATTUNGEN ENTSTEHEN AUS EINER KETTE VON FEHLERN.
    Und hier habt ihr das dritte Gesetz der Evolution, das ihr bisher nicht entdecken konntet: DAS BAUWERK IST WENIGER VOLLKOMMEN ALS SEIN ERBAUER.
    Acht Worte! Aber in ihnen steckt die Widerlegung all eurer Vorstellungen über die unübertroffene Meisterschaft der Urheberin der Arten. Der Glaube an einen Fortschritt, der von Epoche zu Epoche in aufsteigender Linie verläuft, sich der Perfektion nähert, die aus immer größerer Übung erwächst, dieser Glaube an den Fortschritt des Lebens, der im ganzen Baum der Evolution seinen Niederschlag gefunden hat, ist älter als die Theorie der Evolution. Als sich ihre Schöpfer und Anhänger mit ihren Gegnern erbitterte Kämpfe lieferten, als sie Argument gegen Argument und Tatsache gegen Tatsache ins Gefecht schickten, haben beide verfeindete Lager nicht im Traum daran gedacht, die Idee des Fortschritts in Frage zu stellen, die sich in der Hierarchie der Lebewesen zu manifestieren schien. Das ist für euch keine Hypothese mehr, keine Theorie, die man verteidigen muß, sondern ein unerschütterliches Axiom. Ich will es euch widerlegen. Nicht euch will ich vernichten, euch die Vernunftbegabten, als eine gewisse Ausnahme – eine miserable – von der Regel der evolutiven Meisterschaft. Wenn man demnach abschätzt, wozu sie überhaupt nur imstande war – seid ihr nicht einmal schlecht davongekommen! Wenn ich also ankündige, daß ich sie widerlegen und von ihrem Thron stoßen werde, so habe ich dabei ihr Gesamtwerk im Auge, das in drei Milliarden Jahren schöpferischer Schwerstarbeit beschlossen liegt.
    Ich habe erklärt: Das Bauwerk ist weniger vollkommen als sein Erbauer. Eine ziemlich aphoristische Aussage. Geben wir ihr eine mehr sachliche Form: HINSICHTLICH DER PERFEKTION DER LÖSUNGEN, DIE VON ORGANISMUS ZU ORGANISMUS GEFUNDEN WURDEN, IST IN DER EVOLUTION EIN NEGATIVER GRADIENT WIRKSAM.
    Das ist alles. Bevor ich den Beweis führe, möchte ich erläutern, was die Ursache war für eure jahrhundertealte Blindheit gegenüber diesem Stand der Dinge in der Evolution. Die Technologie, wiederhole ich, ist die Disziplin, die sich mit gestellten Aufgaben und den Methoden ihrer Lösung beschäftigt. Die Aufgabe, die sich »Leben« nennt, kann man auf verschiedene Weise stellen – entsprechend den unterschiedlichen planetarischen Bedingungen. Seine prinzipielle Besonderheit, die darin liegt, daß es selbständig entsteht, macht es möglich, zwei Arten von Maßstäben an das Leben anzulegen: solche, die von außen stammen, oder solche, die von vornherein die Einschränkungen berücksichtigen, die gerade durch die Umstände seines Entstehens gegeben sind. Die von außen stammenden Maßstäbe sind immer relativ, denn sie sind abhängig vom Wissen dessen, der sie anlegt, nicht aber vom Informationsstand, über den die Biogenese verfügte. Um diesen Relativismus zu vermeiden, der darüber hinaus ein Verstoß gegen die Ratio ist (wie kann man denn an etwas rationale Ansprüche

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