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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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optischen, thermischen und akustischen Rezeptoren oder die Imitation von Mechanismen der Lokomotion, oder von Lungen, Herzen und Nieren – aber ihr seid meilenweit davon entfernt, die Photosynthese zu beherrschen oder die noch schwierigere Technik der Sprache des genetischen Codes zu bewältigen. Dummheiten, die in dieser Sprache artikuliert sind, imitiert ihr, dämmert euch das nicht endlich?
    Diese Sprache, ein in seiner schöpferischen Potenz unübertroffener Konstrukteur, wurde einerseits zum von mikroskopisch kleinen Fehlern angetriebenen Motor der Evolution, andererseits zur Falle.
    Wie konnte es geschehen, daß die Evolution anfänglich molekular geniale Worte sprach, die mit lakonischer Meisterschaft Licht in Körper verwandelten, dann aber in unbezwingliches Stammeln geriet, sich in immer längeren, immer komplizierteren Chromosomensätzen verlor und ihre ursprüngliche Kunstfertigkeit schändlich vergeudete? Wie erklärt sich dieser Abstieg von Spitzenlösungen im Bereich der Organismen, die Energie und Lebenskraft von einem Stern beziehen, bei denen jedes Atom haargenau kalkuliert, jeder Prozeß quantenmäßig abgestimmt war, hinunter zu schluderigen, x-beliebigen Lösungen, also zu simplen Maschinen, zu diesen Hebeln, Blöcken, Ebenen und Schwebebalken in Gestalt von Gelenken und Gerippen? Warum ist das Prinzip der Wirbeltiere ein mechanisch versteifter Stab, und nicht eine Kupplung von Kraftfeldern? Weshalb ist die Evolution von der Atomphysik bis zur Technologie eures Mittelalters herabgesunken? Weshalb hat sie soviel Anstrengungen unternommen zum Bau von Blasebälgen, Pumpen, Pedalen und peristaltischen Transportbändern, also euren Lungen und Herzen, Gedärmen und Gebärpressen sowie den Rührwerken der Verdauung, während sie hingegen den Quantenaustausch in eine untergeordnete Rolle drängte zugunsten der miserablen Hydraulik eures Blutkreislaufs; weshalb hat sie, die doch auf molekularer Ebene weiterhin genial blieb, in allen größeren Dimensionen gepfuscht, bis sie auf Organismen verfiel, die trotz all ihrer Regulationsmechanismen an der Verstopfung einer einzigen arteriellen Kapillare zugrunde gehen, die in ihrem individuellen Leben, das im Vergleich zum langen Bestehen seiner Architektonik nur von minimaler Dauer ist, aus dem Gleichgewicht geworfen werden, das sich Gesundheit nennt, und an Zehntausenden von Gebrechen erkranken, die die Alge nicht kennt?
    All diese anachronistischen, a priori stupide konzipierten Organe aus der Rumpelkammer der Technik werden in jeder Generation von neuem gebaut durch den Maxwellschen Dämon, den Herrscher der Atome, den Code.
    Und wirklich, großartig ist jeder Auftakt zu einem Organismus, die Embryogenese, diese auf ein Ziel fokussierte Explosion, bei der jedes Gen einem Ton gleich seine schöpferische Kraft in molekularen Akkorden entlädt, und wahrlich verdiente eine derartige Meisterschaft, einer besseren Sache zu dienen! Denn aus dieser durch die Befruchtung zum Leben erweckten Partitur der Atome geht potentieller Reichtum hervor, der aber Schund gebiert – ist doch diese in ihrem Ablauf so großartige Entwicklung um so törichter, je näher sie dem Ende kommt! Und das, was von genialer Hand geschrieben war, erstirbt im reifen Organismus, den ihr den höheren nennt, der aber ein locker geschlungenes Knäuel von Provisorien ist, ein gordischer Knoten von Prozessen – hier, am Beginn der Embryogenese, dauert in jeder Zelle – wenn man sie nur für sich allein betrachtet! – das Erbe der uralten Präzision fort, die zum Leben aufgespannte atomare Ordnung, hier ist noch jedes Gewebe für sich allein genommen fast makellos, aber welch ein Moloch technischen Gerümpels entsteht aus diesen miteinander verklammerten Elementen, die sich selbst ebenso stützen wie belasten, denn die Kompliziertheit ist Stütze und Ballast zugleich – denn Bundesgenossenschaft schlägt hier in Feindschaft um, denn diese Systeme taumeln ihrer endgültigen Zerstreuung entgegen, ein Ergebnis des unaufhörlichen Fäulnis- und Moderprozesses, denn diese Kompliziertheit, die Fortschritt genannt wird, stürzt in sich zusammen, bezwungen durch sich selbst. Nur durch sich selbst, durch nichts sonst!
    So drängt sich denn nach euren Maßstäben das Bild einer Tragödie auf – als ob die Evolution in ihrem Sturmlauf zu immer größeren und dadurch schwierigeren Aufgaben immer wieder gescheitert, gestrauchelt und an ihren eigenen Produkten zugrunde gegangen sei; je kühner die Absicht und

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