Golgrimms wundersame Welt (German Edition)
davon.
Langsam und ehrfürchtig betrat das kleine Mädchen die gigantische Bibliothek. Die Regale ließen ganze Gänge entstehen, ein Labyrinth aus Worten und Texten und unendlichem Wissen. Sarah schaute sich die Buchrücken an. Ihre Finger glitten über das weiche Leder, dies mussten tausende und abertausende Bücher sein. Mit langsamen Schritten ging sie durch die Gänge und ihr Mund stand offen vor lauter Erstaunen.
Eine Weile lang suchte und schaute das kleine Mädchen und durchschritt immer weiter die Bibliothek.
Auf einmal glaubte sie ein schwaches Leuchten zu sehen. Sie schaute sich um. Da! Schon wieder! Das Mädchen schritt an den Regalen vorbei, den Blick suchend auf die Rücken der unzähligen Bücher gerichtet. Erneut entdeckte sie das Leuchten, nun konnte sie es in einem der Regale deutlich sehen. Zielstrebig ging sie hin.
Es war ein Buch. Schwach leuchteten die stumpf gewordenen goldenen Lettern auf dem Buchrücken eines alten, sehr großen und dicken Buches.
Sarah runzelte die Stirn und schritt näher heran. Langsam streckte sie einen Finger aus. Doch bevor ihre Fingerspitze das dicke Buch berührte verschwand das seltsame Leuchten.
Wie ein Wegweiser! dachte Sarah und griff zu.
Das Buch war groß und schwer und es hatte nicht weniger als zweitausend Seiten. Einst war es in dickes dunkelblaues Leder gebunden worden, welches aber im Laufe der Jahre oder vielleicht sogar Jahrhunderte zu einem schmutzigen Graublau verblichen war.
Sanft pustete sie eine dicke Staubschicht von dem Buch herunter und las den Titel:
„Das Leben des großen Zauberers Nepomuk von Hinterhausen – Band achtundsiebzig von einhundertvierunddreißig (wird fortgesetzt)“
Das kleine Mädchen durchblätterte es kurz und ging daraufhin zu dem kleinen runden Tisch mit dem Schachbrett und mehreren Lesezeichen darauf. Ein großer, sehr gemütlich aussehender, Sessel stand davor, zu dem Schachbrett gerichtet.
Sarah nahm ein Lesezeichen auf, fragte sich kurz warum jemand der allein lebte, so viele Lesezeichen hortete, und besah sich dann die Figurenstellung auf dem Brett.
Es sah aus wie ein laufendes Spiel, doch mit wem sollte Onkel Vincent Schach spielen? Er wohnte hier allein und im Umkreis von vielen Kilometern gab es keine anderen Menschen. Ein weiteres Rätsel auf Sarahs immer länger werdender Liste.
Und dann fiel ihr der riesige Schatten auf, in der Ecke des Raumes, direkt hinter dem kleinen runden Tisch. Der Schatten wirkte irgendwie fehl am Platz, geradezu unförmig und jenseits aller Logik und aller physikalischen Gesetze. Es stand nichts in der Nähe, was diesen Schatten hätte werfen können und auch die vagen Lichtquellen der riesigen Bibliothek konnten einen solchen Schatten nicht verursachen.
Neugierig und dennoch sehr vorsichtig streckte das kleine Mädchen eine Hand aus und wollte in den Schatten hinein gehen, als ein tiefes, kaum vernehmbares Brummen aus dem Schatten ertönte. Es klang kehlig und unheimlich und... gewaltig!
Sarah zuckte vor Schreck zusammen und blieb wie angewurzelt stehen. Ihr Atem ging schnell und hastig, angsterfüllt umklammerte sie das dicke staubige Buch und hielt es wie einen Schild vor ihre Brust. Qualvolle Sekunden verstrichen.
Dann ertönte wieder dieses Brummen, wie das zähnefletschende Knurren eines riesenhaften Raubtieres. Doch plötzlich änderte es seine Tonlage, es krächzte kurz und dann wurde aus dem Knurren ein heiseres Husten, gefolgt von dem Ausspruch: „Ach herrje, ich werde noch sterben an diesem ganzen Staub hier. Warum müssen alte Schlösser immer fingerdicke Staubschichten in den Bibliotheken haben? Das ist doch einfach... oh-oh!“
Sarah rührte sich immer noch nicht. Jedoch ertönte nun auch kein Brummen mehr. Kein Knurren und kein Husten. Es schien, als würden beide Parteien, das Mädchen genauso wie das unbekannte Wesen im Schatten, auf eine Reaktion des anderen warten. Sarah tat beherzt den ersten Schritt.
„Wer bist du?“ fragte sie zaghaft und versuchte etwas im Schatten zu erkennen. Sie erblickte nur Schwärze, doch sie war sich sicher, dass sie das leise Atmen eines Lebewesens hören konnte. Sekundenlang geschah nichts. Dann ertönte ein kurzes Räuspern und die Stimme sagte tief und kehlig: „Niemand! Du schläfst und träumst das alles nur! Geh ins Bett und vergiss das alles!“
Doch Sarah schüttelte den Kopf.
„Nein, ich bin hellwach.“ widersprach sie und wurde von Sekunde zu Sekunde mutiger. „Ich bin wach und ich stehe hier. Und ich
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