Golgrimms wundersame Welt (German Edition)
des alten Lords behagte ihm nicht wirklich, sie machte ihn regelrecht nervös.
„Nun denn, auf bald. Vergessen sie die Formulare nicht!“
Mit diesen Worten drückte Mister Winterbottom vom Jugendamt dem Mädchen die kleine Tasche in die Hand, machte mit seiner eigenen Aktentasche auf dem Absatz kehrt und ging mehr hastig als geschwind zurück zu seinem Auto. Einige Augenblicke später nur sah Sarah ihn durch den Nebel davonfahren, sehr zügig nebenbei bemerkt, zurück nach London.
So standen sich nun der alte Lord und das junge Mädchen gegenüber und starrten sich an. Doch Sarah kam es vor, als würde dieser alte Mann vor ihr gar nicht wissen, wer sie war. Dann brummte der alte Lord etwas und sah das Mädchen streng an. Sie hatte nichts verstanden.
„Wie bitte?“ fragte Sarah höflich. Wieder dieser durchbohrende Blick.
„Komm mit! Zu deinem Zimmer!“ brummte Lord Sinclair, diesmal etwas lauter und scheinbar etwas genervt, wandte sich zurück ins Schloss und ging die riesige Treppe zum ersten Stock hinauf. Kein „Hallo!“ oder „Willkommen auf meinem Schloss, es tut mir wirklich leid, was dir alles widerfahren ist!“. Nichts dergleichen. Nur ein knurriges „Komm mit! Zu deinem Zimmer!“.
Sarah hob seufzend ihre kleine Tasche und folgte ihrem neuen Vormund. Dabei schaute sie sich in dem riesigen Saal um, der den Eingangsbereich darstellte.
Überall war es staubig und voller Spinnweben, rostige Ritterrüstungen standen in den Ecken und es gab ein lautes Echo, welches manchmal nur das wiedergab, was es selbst wollte. Durch die großen hohen Fenster drang nur wenig Tageslicht in den Saal, das durch den Staub auf den Scheiben jedoch sofort in ein schwaches düsteres Leuchten verwandelt wurde.
Sie schritten die riesige geschwungene Treppe hinauf. Die alten Holzstufen knarrten laut unter ihren Füßen in den verschiedensten Tönen. Mit jedem Schritt den Sarah tat, wurde ihr das Schloss unheimlicher und unheimlicher. Sie spürte ihr kleines Herz feste und schnell schlagen, tief in ihrer Brust.
Im ersten Stock stieß der alte Lord in einem unendlich scheinenden und düsteren Flur eine massive Eichentür auf und zeigte hinein.
„Das ist dein Zimmer!“ brummte er und paffte weitere blaue Wolken durch die Luft. Sarah betrat das Zimmer zaghaft.
Dieser Raum vermittelte den Eindruck eines alten Bedienstetenzimmers aus längst vergangenen Ritterzeiten, in welchem schon seit Jahrhunderten nicht mehr Staub gewischt worden war. Die Fenster waren staubig und verdreckt, so dass kein einziger Lichtschein hindurch dringen konnte.
Die spärliche Einrichtung, bestehend aus einem Schrank, einem Stuhl, einem kleinen Tisch, einem Bett und einer großen antiquierten Uhr an der Wand, die mit lautem und unaufhörlichem „Tick tack tick tack...“ die Sekunden verrinnen ließ, waren allesamt alt und heruntergekommen, wahrscheinlich überbevölkert durch ganze Zivilisationen von Holzwürmern.
„Ja, Sir. Danke, Sir.“ flüsterte Sarah leise und niedergeschlagen. Sie fühlte sich wie Alice in einem sehr düsteren Wunderland. Und erneut traf sie der bohrende und stechende Blick des alten mürrischen Mannes.
„Hör jetzt gut zu, Kleine! In diesem Haus gibt es Regeln! Regel Nummer eins: Nichts wird ohne Erlaubnis angefasst, berührt, betatscht, befingert oder auch nur angeschaut! Klar?“
„Klar, Sir!“
„Regel Nummer zwei: Von drei bis fünf Uhr nachmittags entspanne ich in der Bibliothek! Unter gar keinen Umständen wirst du innerhalb dieser Zeit Lärm machen, laut spielen, schreien, rufen, brüllen, reden, flüstern oder sonst irgendeinen Laut von dir geben! Innerhalb dieser Zeit wirst du dich in deinem Zimmer aufhalten und sonst nirgendwo! Klar?“
„Klar, Sir!“
„Und Regel Nummer drei, die wahrscheinlich wichtigste Regel: Der Nordturm ist tabu. Es ist dir unter allen Umständen untersagt, ihn zu betreten, hinauf zu steigen, darin herum zu laufen, geschweige denn auch nur in seine Nähe zu kommen! Ist auch das klar?“
„Klar, Sir!“
Der alte Mann beugte sich langsam vor und seine riesige krumme Habichtnase berührte fast die keine Stupsnase von Sarah. Seine blutunterlaufenen Augen bohrten sich regelrecht in Sarahs himmelblaue Äuglein.
„In diesem Schloss gibt es Monster und Geister und andere Kreaturen, die kleine vorlaute Mädchen wie dich nur zu gerne auffressen würden! Du tätest gut daran meine Regeln ernst zu nehmen!“ flüsterte der alte Mann zischend. Das Mädchen nickte aufs
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