GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
Rücken. Der Regen fühlte sich wie kalte Nadeln an, und durch die Brille sah er nur noch verschwommen.
Er wurde ein wenig langsamer, um die Brille abzuwischen, dabei vergaß er das Seil zwischen sich und Deryn. Es spannte sich, und Alek rutschte über die nasse Oberfläche. Mit Wucht ging er zu Boden, die Luft wurde ihm aus den Lungen getrieben, und sein Kopf schlug hart auf die Membran. Während der Aufprall ihm noch in den Ohren widerhallte, spürte er, dass das sich weiter voranbewegte. Er klammerte sich an die Webeleinen, konnte die kalten Finger jedoch nicht schließen. Einen schrecklichen Moment lang verlor er jeden Halt auf der schrägen Flanke des Flugtiers.
Dann spannte sich das Seil um seine Hüfte wieder, und Alek kam mit einem Ruck zum Stopp. Er lag da, wusste nicht recht, wo oben und unten war, und sein Herz klopfte heftig.
Er hörte eine Stimme am Ohr. »So bringt das nichts! Häng dich ein!«
Alek nickte und tastete blind nach seinem Sicherheitsgurt. Er ließ den Karabinerhaken am Gitter von Seilen unter sich einschnappen und setzte sich auf. Die Welt vor seinen Augen drehte sich. Die Motoren wurden mit jeder Sekunde lauter, und mit der wachsenden Schubkraft wurde auch der Regen heftiger. Durch die Schutzbrille sah er nur verschwommen, und er war noch benommen von dem Schlag auf den Kopf.
»Tut mir leid, dass ich gefallen bin.« Vom Reden schmerzte sein Kopf noch mehr.
»Keine Sorge. Wir sind weit genug hinten. Ich wollte nur nicht gerade darin sitzen.«
Alek nahm die Schutzbrille auf und folgte Dylans Blick. Durch die Bewegung des Luftschiffs wurde ein Sturzbach aus Wasser vom Rücken des Höckers heruntergedrückt, wie ein Wasserfall, der nach einem Schauer zum Leben erwacht.
»Die Flutrinne?«
Dylan lachte schallend. »Aye. So habe ich sie noch nie gesehen. Und das ist erst drei Viertel Kraft voraus.«
Alek kniff die Augen zu und wusste plötzlich nicht mehr recht, wie er hier draußen in diesem Sturm gelandet war. Es war, als wäre er gerade aufgewacht und auf magische Weise aus seinem Bett auf den Schiffsrücken teleportiert worden.
»Pusteln und Karbunkel. Alek, du blutest ja!«
»Ich was?« Er blinzelte. Dylan starrte auf seine Stirn. Alek berührte die schmerzende Stelle und sah sich die Finger an. Sie waren mit wässerigem Blut bedeckt.
»Ist doch nichts.«
»Ist dir schwindelig?«
»Warum sollte mir schwindelig sein?« Alek wollte nach oben greifen und die Schutzbrille abnehmen, stellte dann fest, dass er sie schon in der Hand hielt. Er sah immer noch verschwommen, als wäre die Welt durch eine mattierte Glasscheibe von ihm getrennt.
»Weil du mit dem Kopf aufgeschlagen bist, Dummkopf!«
»Was bin ich?« Er konnte gar nicht richtig denken, weil die Motoren so dröhnten.
»Brüllende Spinnen, Alek.« Dylan nahm seine Hände und sah ihm in die Augen. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir ist kalt.« Die Wärme seines Körpers verzog sich in den Sturm, die Kraft seiner Glieder wurde vom kalten Wasser fortgespült, das an ihnen vorbeirauschte. Alek wollte aufstehen, aber der Wind war zu stark.
Dann gab es ein lautes Krachen, und das ganze Schiff bebte unter ihnen.
»Pusteln und Karbunkel!«, fluchte Dylan. »Jetzt hat uns die erste Welle getroffen! Die Offiziere haben zu lange mit den Motoren gewartet.«
Alek starrte Dylan an, und die Schockwelle hallte in seinem Kopf wider. Er wollte ihr eine Frage über die Motoren und den Sturm stellen, aber plötzlich löste sich das Verschwommene auf, und er konnte wieder klar sehen.
»Du bist ein Mädchen, nicht?«
»Was zum Teufel?« Deryn riss die Augen auf. »Hast du dir den Kopf so übel gestoßen? Das weißt du doch schon eine brüllende Woche lang.«
»Ja, aber jetzt … kann ich es sehen !« Auch nachdem er die Wahrheit erfahren hatte, beherrschte die Lüge sein Denken, als würde Deryn eine Maske tragen. Doch plötzlich war die Maske verschwunden.
Er berührte sich an der Stirn. »Hast du immer so ausgesehen?«
Deryns Antwort wurde von den Motoren übertönt. Alek kannte das Geräusch aus den langen Stunden in den Triebwerkskapseln, das unverkennbare Dröhnen eines Motors, der auf vollen Touren lief. Der Wind nahm an Stärke zu, der Regen fühlte sich plötzlich wie Hagelkörner an. Er setzte die Schutzbrille wieder auf.
»Du bist gefallen und mit dem Kopf aufgeschlagen!«, schrie Deryn. »Das Schiff ist wegen des Regens zu schwer geworden, schon vergessen?« Sie drehte sich in den Sturmwind, schlug die Arme vors Gesicht
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