GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
Mast befand sich genau vor ihr, doch sie warf sich nach Steuerbord und kam geradeso an den Metallstreben vorbei.
Dadurch war sie nach rechts und aus dem Aufwind gekommen, weshalb es zunächst in einer Spirale abwärts ging. Doch mit einem weiteren Ruck füllten sich die Flügel wieder. Sie stieg ein Stück nach oben, bis sie so eben über die Cañonkante gelangte.
Einen der Läufer konnte sie jetzt sehen – eine Maschine auf zwei Beinen in der Größe von Aleks altem Zyklop-Sturmläufer. Er sah kantiger aus wie eine deutsche Maschine und rumpelte direkt auf den Rand zu.
Deryn lenkte in die Richtung und geriet dabei wieder unterhalb der Kante. Sie flog genau auf die Felswand zu …
Im letzten Augenblick verlagerte sie ihr Gewicht nach hinten und wäre fast mitten in der Luft stehen geblieben. Ihre Bewegung brachte sie noch einige Meter voran, und dann setzte Deryn auf der Kante auf. Ihre Stiefel glitten über lockere Steine, aber irgendwie konnte sie sich auf den Beinen halten.
Der Läufer ragte über ihr auf und hatte den Kopf gesenkt, als wollte er sie genauer inspizieren. Die riesige Mündung einer Kanone zeigte auf sie.
»Brüllende Spinnen!«, fluchte sie.
Aber es war gar keine Kanone – es war eine Filmkamera. Sie hörte das Surren und Klappern, während der Apparat ein Dutzend Mal in der Sekunde ein Bild von ihr schoss.
Der Wind drehte sich und zog sie wieder in Richtung der Kante. Deryn drehte sich um und blickte in den Cañon. Der andere Läufer war ebenfalls eine Kameraplattform auf zwei Beinen.
Die Rebellen wollten die Leviathan filmen, nicht zerstören.
Ihre Boteneidechse würde jeden Moment auf der Brücke ankommen, und wenn der Kapitän Alarm schlug und Ballast abwarf, würden die Landetaue durch die Hände von hundert unausgebildeten Männern gerissen, die sie am Boden festhielten.
»Deryn wird geschossen.«
Und schlimmer noch, manche würden sie festklammern und in den Himmel gehoben werden, um schließlich aus vielen Fuß Höhe auf ihre Kameraden zu fallen. Falls General Villa bislang nicht die Absicht gehabt hatte, die Leviathan zu zerstören, würde es spätestens dann so weit sein.
Deryn wendete die Gleitflügel und warf sich in den Cañon.
28. KAPITEL
»Diese Männer an den Seilen sind ja ziemlich auf Draht«, merkte Kapitän Hobbes an. »Und im Cañon ist es nicht so windig.«
Keiner der Offiziere antwortete. Sie hatten sich auf der Brücke verteilt, standen jeder an einem Fenster und hielten nach Anzeichen für einen Hinterhalt Ausschau. Bovril schaukelte nervös auf Aleks Schultern und spürte die Unruhe im Raum.
Draußen schufteten die Rebellen hart und zurrten die Seile an Metallpfosten fest, die in den Fels getrieben waren. Die Taue spannten sich, während die Leviathan sich nach unten bewegte, und so näherte sie sich Meter um Meter dem Boden. Der Kapitän hatte keinen Wasserstoff abgelassen, falls es notwendig wurde, schnell zu starten. Für Alek fühlte es sich an, als würde sich das Luftschiff gegen die Seile wehren, so wie Gulliver gegen die Liliputaner angekämpft hatte.
»Glauben Sie wirklich, die Rebellen werden uns helfen?«, fragte er Dr. Barlow.
»Ich hoffe doch, nachdem sie uns diese Umstände gemacht haben.« Sie schnaubte. »Gewiss wollte Mr. Hearst nur ein wenig Dramatik für seine Wochenschau.«
»Wochenschau«, sagte ihr Loris leise und schnalzte mit der Zunge.
»Und ich habe dem Mann vertraut«, sagte Mr. Tesla. Seit dem Motorenausfall war er schlechter Laune, besonders, da den Berichten aus der Kapsel zufolge Hearsts Treibstoff für den Defekt verantwortlich war.
»Vielleicht will er persönlich ja Frieden«, sagte Dr. Barlow. »Aber Konflikte verkaufen Zeitungen.«
»Habe ich wohl schon einmal von diesem Pancho Villa gehört?«, fragte Alek.
»Im Augenblick ist er in allen Zeitungen zu sehen.« Mr. Tesla starrte aus dem Fenster zur Bodenmannschaft. »Eigentlich heißt er Francisco Villa, aber er hat den Spitznamen Pancho bekommen, weil er ein Freund der Armen ist. Er besetzt die Plantagen der Reichen und überlässt sie den Landarbeitern.«
»Eine ziemlich verbreitete Vorgehensweise unter Rebellen«, warf Dr. Barlow ein, und ihr Loris schnaubte. »Hoffentlich hat er das nicht mit Luftschiffen vor.«
Alek schüttelte den Kopf. Wie chaotisch die Welt auch sein mochte, er wusste, dass die Vorsehung ihn als Friedensstifter auserkoren hatte. Hier in diesem staubigen Cañon konnte seine Mission nicht einfach ihr Ende finden.
»Brücke, hier
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