GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
das Gesicht, unterdrückte jedoch jeden Schmerzenslaut.
In das Schiefergestein neben ihr hatte man einen Metallpfosten getrieben, und die Landeleine, die daran befestigt war, zitterte, so sehr war sie auf Spannung. Wenn sie riss, so stellte sich Alek vor, würde sie so viel Wucht entwickeln, dass sie ihm den Kopf abreißen könnte. Er sah hinauf zu den Fenstern der Brücke. Dort entdeckte er den Kapitän, der zu ihnen heruntersah. Um ihn hatten sich die Offiziere versammelt.
»Wir haben deine Nachricht gerade noch rechtzeitig erhalten«, sagte Alek.
»K-A-M—E-R-A«, buchstabierte Bovril stolz.
»Ich wünschte, ich hätte die erste gar nicht abgeschickt.« Deryn schüttelte den Kopf und streichelte Bovril das Fell. »Laut Miss Rogers mischt General Villa in diesem brüllenden Filmgeschäft mit! Deshalb hat Hearst Waffen und Film geschmuggelt. Er will Aufnahmen von Kämpfen für seine Wochenschau.«
»Wochenschau, pah!«, sagte Bovril.
»Halten Sie mal still, Junge.« Dr. Busk schnitt Deryns Hose über dem Knie ab. Um den purpurfarbenen Bluterguss herum sah die Haut weiß aus.
Sie sah Alek voller Sorgen in die Augen. Wenn das Bein gebrochen war, würde es unvermeidlich, dass ihr Rollenspiel aufflog.
»Sir!«, sagte einer der Marinesoldaten. »Da kommt jemand.«
Dr. Busk sah nicht auf. »Wenn Sie sich bitte um den diplomatischen Teil kümmern könnten, Hoheit.«
»Ach, gewiss doch.« Alek nickte Deryn, wie er hoffte, aufmunternd zu, erhob sich und drehte sich um. Zwei riesenhafte Wesen näherten sich und brachten Bewegung in die Bodenmannschaft.
Die Menge wich auseinander, und zwei gigantische Bullenschöpfungen wurden sichtbar. Sie waren mindestens drei Meter hoch, und die Hörner waren mit Metallspitzen überzogen, in den Schultern waren sie mindestens so breit wie eine Lokomotive. Auf dem Rücken der Bullen saßen Reiter, die Stahlketten hielten, welche an Silberringen in den Nüstern der Tiere endeten. Hinter den Reitern war jeweils eine Plattform montiert, auf der sich ein weiterer Soldat befand; auf der einen Bullenplattform stand ein Gatling-Maschinengewehr, auf der anderen eine Filmkamera.
Zwischen den beiden Ungetümen wirkte der Reiter auf dem Pferd beinahe verloren. Er trug Reitstiefel und eine helle Hose, einen Hut mit schmaler Krempe und eine kurze braune Jacke, über der sich zwei Patronengurte kreuzten. Seine Kleidung wirkte zerknittert, als habe er bis jetzt darin geschlafen, und über einem wilden Schnurrbart leuchteten zwei lebendige braune Augen.
»Pancho Villa.«
Alek kannte nur wenige Worte Spanisch, aber er verneigte sich und probierte sie aus.
»Sone Aleksandar, Principe de Hohenberg.«
Der Mann lachte und erwiderte in vorsichtigem, aber sauberem Englisch: »Ich denke, Sie meinen ›soy‹ . General Francisco Villa, revolutionärer Gouverneur von Chihuahua, zu Ihren Diensten.«
Das war also der berühmte Rebellenführer, der Robin Hood der mexikanischen Bauern. Alek fragte sich, was der Mann wohl über den reichen jungen Prinzen dachte, der vor ihm stand, und ob er sich, was den Großen Krieg in Europa betraf, für eine Seite entschieden hatte.
Die Pistole an seinem Gürtel war eine Mauser – ein deutsches Fabrikat.
»Ist der Mann verletzt?«, erkundigte sich Villa.
Alek drehte sich um. Deryn wand sich vor Schmerzen, während Dr. Busk eine Art Kompresse an ihrem Knie anlegte. »Wir hoffen nicht, Sir.«
»Mein Leibarzt ist unterwegs. Aber bitte, warum ist der Mann vom Schiff gesprungen? Er hat uns einen Moment lang sehr nervös gemacht.«
»Wegen der Kameraläufer.« Alek sah nach oben. »Es ist einige Verwirrung über ihren Zweck entstanden.«
Der Mann schnalzte mit der Zunge. »Ach, das hätte ich mir denken sollen. Letzten Winter hat einer der Läufer einen ganzen Zug Federales gefangen genommen. Die dachten, er wollte sie erschießen!«
Alek verglich die Gatling-Waffe und die Kamera auf den beiden Monsterbullen. »Ein durchaus verständlicher Irrtum. Es ist eine ungewöhnliche Apparatur für eine Armee.«
Der Mann zeigte nach oben zur Gondel der Leviathan . »Aber bei Ihrem Luftschiff ist sie in Ordnung?«
Alek sah sich um und entdeckte Mr. Francis und seine Männer, die das Treffen durch die offenen Fenster der Kadettenmesse filmten. Und schon wieder stand er vor einer Kamera.
»Es scheint ja keine Möglichkeit zu geben, ihnen zu entkommen«, sagte Alek. »Können Sie uns bei der Reparatur unserer Motoren helfen?«
Der Mann neigte sich im Sattel nach unten.
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