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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Territorium des Clans die Regie. Den Krieg gegen Cutolo hatten sie unbeschadet überstanden, sie hatten Firmen gegründet, an Ansehen und Einfluß gewonnen und hatten geschäftlich nach Norditalien und ins Ausland expandiert. Mario Iovine, Vincenzo De Falco, Francesco Schiavone »Sandokan«, Francesco Bidognetti »Cicciotto di Mezzanotte« und Vincenzo Zagaria waren die Bosse des casalesischen Verbands. Anfang der achtziger Jahre führten Cicciotto di Mezzanotte und Sandokan das militärische Kommando; gleichzeitig waren sie Unternehmer, die in allen möglichen Branchen Geschäfte tätigten. Und sie spielten bereits mit dem Gedanken, sich an die Spitze der vielköpfigen Organisation zu stellen. Doch in Mario Iovine, einem Boss, der Bardellino sehr nahestand, stießen sie auf einen Gegner dieser Autonomiebestrebungen. Also bedienten sie sich der schroffen camorristischen Diplomatie in der einzigen Art und Weise, die sie ihren Zielen näher bringen konnte: indem sie einen mörderischen Krieg innerhalb der eigenen Reihen entfachten.
    Nach Angaben des Kronzeugen Carmine Schiavone wurde Antonio Bardellino von den beiden Bossen gedrängt, nach Italien zurückzukehren und Marios Bruder Mimi Iovine auszuschalten, den Besitzer einer Möbelfabrik. Der hatte mit den internen Machtkämpfen der Camorra zwar offiziell nichts zu tun, aber nach Ansicht der beiden Bosse hatte er zu oft geplaudert, zu oft Informationen an die Carabinieri weitergegeben. Um den Boss für ihren Plan zu gewinnen, sagten sie ihm, sogar Mario sei bereit, seinen Bruder zu opfern, damit die Macht des Clans gewahrt bleibe. Bardellino ließ sich überreden und erteilte den Befehl, Mimi auf dem Weg zur Arbeit zu ermorden. Unmittelbar danach übten Cicciotto di Mezza-notte und Sandokan Druck auf Mario Iovine aus, Bardellino auszuschalten. Bardellino, so behaupteten sie, habe es gewagt, Marios Bruder unter einem Vorwand, aufgrund eines bloßen Gerüchts umzubringen. Ein doppeltes Spiel, das darauf abzielte, die beiden aufeinanderzuhetzen. Sie begannen, sich zu organisieren. Bardellinos mutmaßliche Nachfolger waren alle einverstanden, den Boss der Bosse auszuschalten, jenen Mann, der vor allen anderen in Kampanien ein System kri min eller Wirtschaftsmacht aufgebaut hatte. Man überredete den Boss, Santo Domingo zu verlassen und in die Villa in Brasilien überzusiedeln. Man sagte ihm, Interpol sei ihm auf den Fersen. 1988 besuchte ihn dort Mario Iovine, vorgeblich, um über die Import-Export-Geschäfte mit Fischmehl und Kokain zu sprechen. Eines Nachmittags schlug Iovine - weil er die Pistole nicht mehr fand, die er in seiner Hosentasche gehabt hatte -Bardellino mit einem Holzhammer den Schädel ein. Die Leiche versenkte er in einer am brasilianischen Strand ausgehobenen Grube. Sie wurde jedoch nie gefunden, und so entstand die Legende, Antonio Bardellino sei in Wirklichkeit noch am Leben und genieße seinen Reichtum auf irgendeiner südamerikanischen Insel. Sofort nachdem Bardellino erledigt war, rief Iovine Vincenzo De Falco an, um ihn zu informieren. Damit begann die blutige Auslöschung der Bardellinianer. Paride Sal-zillo, der Neffe und eigentliche Kronprinz Bardellinos, wurde zu einem Gipfeltreffen des casalesischen Kartells eingeladen. Nach Aussage des Kronzeugen Carmine Schiavone ließ man ihn als den Stellvertreter seines Onkels am Kopfende des Tisches Platz nehmen. Plötzlich stürzte sich Sandokan auf ihn, um ihn zu erdrosseln, sein Cousin und Namensvetter mit dem Spitznamen »Cicciariello« (Dickerchen) sowie zwei weitere seiner Gefolgsleute, Raffaele Diana und Giuseppe Caterino, hielten das Opfer an Armen und Beinen fest. Sie hätten Sal-zillo nach guter Tradition der alten Bosse auch mit der Pistole oder mit Messerstichen in den Bauch töten können. Aber sie wollten ihn eigenhändig erdrosseln, auf dieselbe Weise, wie neue Thronprätendenten einst die alten Herrscher ausschalteten. Seit im Jahr 1345 Andreas von Ungarn in Aversa stranguliert worden war - an der von seiner Gemahlin Johanna I. angezettelten Verschwörung beteiligten sich auch neapolitanische Adlige unter Führung Karls von Durazzo, der nach dem Thron von Neapel strebte -, galt in Aversa und seinem Umland Erdrosseln als klares Symbol für einen blutig erzwungenen Machtwechsel. Sandokan mußte allen Bossen zeigen, daß er der Thronerbe war und durch seine Brutalität das Recht auf die Führungsposition erworben hatte.
    Antonio Bardellino hatte ein fein verästeltes Herrschaftssystem

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