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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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kriminell und die Camorristen eine Minderheit sind. Dann sagt man der Einfachheit halber, man stamme aus einem benachbarten Ort, der weniger bekannt ist und einen nicht sofort in die Nähe krimineller Machenschaften rückt. Besser also, man ist aus Neapel ganz allgemein statt aus Secondigliano, besser, man stammt aus Aversa oder Caserta statt aus Casal di Principe. Man schämt sich oder zeigt Stolz, je nachdem, wie es das Spiel, der Augenblick oder die Situation erfordert. Wie ein Kleidungsstück, das aber selbst bestimmt, wann man es anzieht.
    Verglichen mit Casal di Principe ist Corleone Disney-Land. Casal di Principe, San Cipriano d’Aversa, Casapesenna. Ein Territorium mit nicht einmal hunderttausend Einwohnern, aber tausendzweihundert Verurteilten gemäß Artikel 416b des Strafgesetzbuchs, dem Straftatbestand der Bildung einer mafiaartigen Vereinigung; hinzu kommt eine Unmenge von Beschuldigten und Verurteilten wegen externer Beteiligung an einer mafiaartigen Vereinigung. Seit undenklichen Zeiten hat dieser Landstrich unter den Camorra-Familien zu leiden, einer gewalttätigen und grausamen Bourgeoisie, deren blutigste und mächtigste Speerspitze der Clan ist. Im Clan der Casalesen, benannt nach Casal di Principe, sind sämtliche Camorra-Familien der Provinz Caserta in einem Bündnis zusammengeschlossen und genießen gleichzeitig weitgehende Autonomie: die Familien aus Castelvolturno, Villa Literno, Gricignano, San Tammaro und Cesa, Villa di Briano, Mon-dragone, Carinola, Marcianise, San Nicola La Strada, Calvi
    Risorta, Lusciano sowie Dutzenden weiterer Ortschaften. Jede mit einem eigenen Capozona, allesamt Teil des casalesischen Netzwerks. Antonio Bardellino, der Stammvater der casalesischen Familien, hatte in Italien als erster erkannt, daß Heroin langfristig durch Kokain abgelöst werden würde. Trotzdem blieb für die Cosa Nostra und viele Camorra-Familien Heroin die wichtigste Handelsware. Die Junkies galten als eine wahre Goldgrube, während Kokain in den achtziger Jahren noch im Ruf einer High-Society-Droge stand. Antonio Bardellino jedoch hatte begriffen, daß das große Geschäft mit einer Droge zu machen war, die nicht über kurz oder lang tötete; mit einer Droge, die gewissermaßen ein Aperitif gutbürgerlicher Kreise und nicht das Gift sozialer Außenseiter war. Er gründete daher eine Import-Export-Firma für Fischmehl, das er aus Südamerika exportierte und nach Aversa importierte. Fischmehl, in dem tonnenweise Kokain versteckt war. Das Heroin, mit dem er handelte, schmuggelte Bardellino auch nach Amerika. In Filtern für Espressomaschinen versteckt, schickte er es an John Gotti, einen der berühmtesten Cosa-Nostra-Bosse von New York. Einmal beschlagnahmten die amerikanischen Drogenfahnder siebenundsechzig Kilo Heroin, doch für den Boss von San Cipriano d’Aversa war das nicht weiter tragisch. Ein paar Tage später ließ er Gotti telefonisch ausrichten: »Jetzt schicken wir dir doppelt soviel, und zwar auf einem anderen Weg.« In Aversa und Umgebung entstand damit ein Kartell, das sich Cutolo entgegenstellen konnte, und die Brutalität, mit der dieser Krieg geführt wurde, ist dem genetischen Code der casertanischen Clans bis heute einbeschrieben. In den achtziger Jahren wurden die mit Cutolo verbündeten Familien im Zuge weniger, jedoch äußerst heftiger militärischer Operationen eliminiert. Die Di Matteo, vier Männer und vier Frauen, wurden innerhalb von wenigen Tagen niedergemetzelt; nur ein achtjähriges Kind ließen die Casalesen am Leben. Die sieben Mitglieder der Familie Simeone wiederum wurden fast gleichzeitig getötet. Am Morgen noch quicklebendig und im Vollbesitz ihrer Macht, waren sie abends ausgelöscht. Abgeschlachtet. Im März 1982 postierten die Casalesen in Ponte An-nicchino ein Maschinengewehr, wie es im Schützengraben verwendet wird, auf eine Anhöhe und schossen vier Gefolgsleute Cutolos nieder.
    Antonio Bardellino war Mitglied der Cosa Nostra, eng mit Tano Badalamenti verbunden und ein Freund und Gefährte des sizilianischen Bosses Tommaso Buscettas, mit dem er sich in Südamerika eine Villa geteilt hatte. Als die Corleonesen Badalamenti und Buscetta entmachteten, versuchten sie auch, Bardellino zu beseitigen, ohne Erfolg. In der ersten Phase des Aufstiegs der Nuova Camorra Organizzata versuchten die Sizilianer, auch Raffaele Cutolo auszuschalten. Sie schickten den Killer Mimmo Bruno mit einer Fähre aus Palermo, doch kaum hatte er den Hafen verlassen, wurde er

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