Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
als »Tiger Arkan«, in Kontakt mit Sandokan Schiavone, dem Oberhaupt der Casalesen. Arkan wurde im Jahr 2000 in einem Belgrader Hotel erschossen. Er war einer der grausamsten serbischen Kriegsverbrecher und machte die muslimischen Dörfer Bosniens dem Erdboden gleich; und er war der Gründer der nationalistischen Gruppe »Serbische Freiwilligen-Garde«. Die beiden Tiger taten sich zusammen. Arkan brauchte Waffen für seine Miliz und suchte insbesondere nach einer Möglichkeit, das gegen Serbien verhängte Embargo zu umgehen, indem er unter dem Deckmantel der Lieferung humanitärer Hilfsgüter (Feldlazarette, Arzneimittel und medizinische Ausrüstung) Kapital und Waffen ins Land schaffte. Nach Dokumenten des SISMI wurden diese Lieferungen im Umfang von mehreren zehn Millionen Dollar in Wirklichkeit von Serbien bezahlt, und zwar aus Guthaben bei einer österreichischen Bank; das Gesamtvolumen dieser Bankeinlagen betrug fünfundachtzig Millionen Dollar. Die Gelder wurden an eine Organisation weitergeleitet, die mit den serbischen und kampanischen Clans in Verbindung stand. Diese Organisation sollte die als humanitäre Hilfsleistungen reklamierten Güter bestellen, die dann mit illegal erwirtschafteten Geldern bezahlt wurden. Auf die Weise konnte man schmutziges Geld waschen. Hier nun traten die casalesischen Clans auf den Plan. Sie organisierten die Firmen, den Transport und die Güter, mit deren Hilfe diese Geldwäsche durchgeführt wurde. Nach Dokumenten des SISMI wandte sich Arkan über seine Mittelsmänner um Hilfe an die Casalesen. Sie sollten die albanische Mafia zum Schweigen bringen, die seinen Finanzfeldzug vereiteln konnte, indem sie von Süden her dazwischenfunkte oder den Waffenschmuggel blockierte. Die Casalesen beschwichtigten ihre albanischen Verbündeten, versorgten Arkan mit Waffen und ermöglichten ihm einen ungestörten Guerillakrieg. Im Gegenzug kauften die Manager des Clans Fabriken, Läden, Bauernhöfe und Zuchtbetriebe zu günstigen Preisen, und italienische Unternehmen wurden in ganz Serbien heimisch. Bevor Arkan mit seinem Krieg begann, wandte er sich an die Camorra. Von Südamerika bis zum Balkan wird mit den Waffen der kampanischen Fa mi lien Krieg geführt.
Zement
Ich war lange nicht mehr in Casal di Principe gewesen. Wenn Japan die Heimat des Kampfsports, Australien ein Paradies für Surfer und die Republik Sierra Leone für ihre Diamanten berühmt ist, so ist Casal di Principe die Hauptstadt der unternehmerischen Macht der Camorra. In den Provinzen Neapel und Caserta bedeutete schon allein die Herkunft aus Casal di Principe eine Immunitätsgarantie. Man war mehr als nur man selbst, man entstammte gewissermaßen der grausamen Mitte der kriminellen casertanischen Gruppen. Man wurde automatisch mit Respekt behandelt; eine gleichsam natürliche Angst schlug einem entgegen. Selbst Benito Mussolini hatte dieses Stigma der Herkunft, diesen Ruch des Kriminellen beseitigen wollen und die beiden Gemeinden San Cipriano d’Aversa und Casal di Principe in Albanova umgetauft. Damit eine neue Morgenröte (»alba«) von Recht und Gerechtigkeit anbrechen konnte, schickte er zudem ein paar Dutzend Carabinieri, die dem Problem »mit Feuer und Schwert« zu Leibe rücken sollten. Heute trägt nur noch der vor sich hin rostende Bahnhof von Casale den Namen Albanova.
Du kannst stundenlang einen Sandsack traktieren, nachmittagelang unter der Scheibenhantel deine Brustmuskeln trainieren und Unmengen von Anabolika zum Muskelaufbau schlucken; aber wenn du den richtigen Akzent drauf hast und gewisse Gesten machst, fangen selbst Tote an zu zittern. Hier kennt man alte Redensarten, die den unheilvollen Bedeutungsgehalt eines bestimmten Mythos der Gewalt treffend zum Ausdruck bringen: »Zum Camorristen wird man gemacht, als Casalese wird man geboren.« Bevor man im Streit oder nach einem herausfordernden Blickwechsel mit der Faust zuschlägt oder das Messer zieht, verkündet man sein Lebensmotto: »Leben und Tod sind für mich einerlei!« Bisweilen genügt schon der Hinweis auf den Herkunftsort, um Eindruck zu machen. Die Bilder brutaler Gewalt, mit denen man sofort gleichgesetzt wird, haben eine durchaus einschüchternde Wirkung. Man bekommt dann beispielsweise eine verbilligte Kinokarte, oder eine ängstliche Verkäuferin räumt einem Kredit ein. Manchmal sind die Vorurteile, die einem entgegenschlagen, aber auch allzu belastend, und man hat keine Lust zu beteuern, daß nicht alle dazugehören, daß nicht alle
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