Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Gewaltanschlags wurde. Man schlug ihn vor den Augen seiner Frau und seiner neunjährigen Tochter mit einem Knüppel brutal zusammen, weil er den Anweisungen der Clans nicht gefolgt war. Kein Protest, keine Anzeige. Die Sicherheit des Monopols war besser als die Unsicherheit des Marktes. Die Schmiergelder, die gezahlt wurden, um die Monopolstellung auf dem kampanischen Markt zu behalten, mußten selbstverständlich in den Unternehmensbilanzen ausgewiesen werden: kein Problem im Land der kreativen Finanzfachleute, wo Bilanzfälschung nicht als Strafdelikt gilt. Gefälschte Rechnungen, gefälschtes Sponsoring, gefälschte Jahresabschlußprämien bezüglich der verkauften Milchmengen - auf die Weise konnte man alle Probleme lösen. Laut diesen Bilanzen wurden seit 1997 Veranstaltungen gesponsert, die in Wirklichkeit niemals stattfanden: das Mozzarella-Volks fest, Straßenmusik, ja sogar das Fest des heiligen Tammaro, Schutzpatron von Villa Literno. Cirio wiederum unterstützte in Anerkennung der geleisteten Dienste den Sportverein Poli-sportiva Afragolese, der faktisch vom Moccia-Clan geführt wurde, außerdem ein ganzes Netzwerk von Sport-, Musik-und Freizeitvereinen: die »Zivilgesellschaft« der Casalesen.
Die Expansion der Clans bis nach Osteuropa - nach Polen, Rumänien und Ungarn - brachte in den vergangenen Jahren einen enormen Machtzuwachs. Im März 2004 wurde in Polen Sandokans Cousin Francesco Schiavone (Cicciariello) verhaftet. Der korpulente Boss mit Schnurrbärtchen, eine der Schlüsselfiguren des camorristischen Verbands, wurde wegen zehnfachen Mordes, dreifachen Menschenraubs, neunfachen versuchten Mordes, zahlloser Verstöße gegen das Waffengesetz sowie Erpressung gesucht. Beim Einkaufen mit seiner fünfundzwanzigjährigen rumänischen Freundin Luiza Boetz schnappte die Falle zu. Der einundfünfzigjährige Cicciariello trat unter dem Namen Antonio als einfacher italienischer Geschäftsmann auf. Doch daß mit seinem Leben etwas nicht stimmte, muß auch Luiza geahnt haben. Um sich in Krosno bei Krakau mit ihm zu treffen, fuhr sie kreuz und quer mit dem Zug - ein Trick, um die Polizei in die Irre zu führen. Ihre Beschatter verfolgten sie auf diesen verschlungenen Reisewegen über drei Landesgrenzen hinweg und dann mit dem Auto bis an die Peripherie der polnischen Stadt. Cicciariello wurde an der Kasse eines Supermarkts verhaftet; er hatte sich den Schnurrbart gestutzt, die Locken glätten lassen, und er hatte abgenommen. Zwar war er nach Ungarn übergesiedelt, traf sich aber weiterhin mit seiner Freundin in Polen. Er besaß nicht nur Zuchtbetriebe und ausgedehnte Baulandflächen, er war auch Mittelsmann für Unternehmer vor Ort. Der italienische Vertreter des Osteuropäischen Zentrums zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität (SECI, Southeast European Cooperative Initiative) hatte darauf hingewiesen, daß Schiavone und seine Leute oft nach Rumänien reisten und in Barlad (im Osten des Landes), in Sinaia (in der Mitte), in Cluj (im Westen) sowie an der Schwarzmeerküste wichtige Geschäftsbeziehungen geknüpft hätten. Neben Luiza Boetz hatte Cicciariello Schiavone eine weitere Geliebte, Cristina Coremanciau, ebenfalls Rumänin. Die Nachricht von seiner Verhaftung »wegen einer Frau« wurde in Casale als eine Verhöhnung des Bosses aufgenommen. Eine Lokalzeitung titelte fast spöttisch: »Cicciariello mit der Geliebten verhaftet.« In Wirklichkeit waren die beiden Geliebten knallharte Managerinnen, die sich um Cicciariellos Investitionen in Polen und Rumänien kümmerten und bei seinen Geschäften eine Schlüsselrolle spielten. Cicciariello wurde als einer der letzten Bosse der Familie Schiavone verhaftet. Viele aus der Führungsriege und zahlreiche Mitglieder des casalesischen Clans waren im Laufe von zwanzig Jahren Macht und Machtkämpfen im Gefängnis gelandet. Der Mammutprozeß »Spartacus« — benannt nach dem rebellischen Gladiator, der ausgerechnet von hier aus den größten Aufstand anführte, den Rom je gesehen hatte - bildete den Schlußstrich unter die Ermittlungen gegen das verästelte Kartell der Casalesen.
Am Tag der Urteilsverkündung ging ich zum Gericht von Santa Maria Capua Vetere. Ich stellte meine Vespa zwischen zwei Autos ab, und es gelang mir sogar, in das Gebäude hineinzukommen. Ich hatte mit einem gigantischen Medienauf-lauf gerechnet, aber es waren nur ein paar Kameraleute und Fotografen lokaler Medien da. Dagegen wimmelte es nur so von Carabinieri und Polizei.
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