Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
beläuft sich auf insgesamt rund dreißig Milliarden Euro. Die casalesische Camorra hat sich längst zu einem Unternehmen mit diversifizierten Geschäftszweigen entwickelt;
es ist das zuverlässigste in ganz Kampanien und kann überall mitmischen. Das Volumen der illegal angehäuften Vermögenswerte garantiert zinsgünstige Kredite, so daß die Konkurrenz durch Dumpingpreise und auch durch Einschüchterungen aus dem Rennen geschlagen werden kann. Die neue camorristische Bourgeoisie der Casalesen machte aus der Praxis der Erpressung eine zusätzliche Dienstleistung und aus der Schutzgeldzahlung eine Art stille Teilhaberschaft am Unternehmen Camorra. Mit einer monatlichen Zahlung stellt man dem Clan Geld für geschäftliche Aktivitäten zur Verfügung, gleichzeitig genießt man aber auch finanzielle Rückendeckung gegenüber den Banken und kann sicher sein, daß Lkw-Liefe-rungen pünktlich eintreffen und Handelsvertreter respektvoll behandelt werden. Die Schutzgeldzahlung als Anspruch auf ganz bestimmte Dienstleistungen. Dieses neue Konzept der Schutzgelderpressung legten Ermittlungen der Polizei von Caserta aus dem Jahr 2004 offen, die schließlich zur Verhaftung von achtzehn Personen führten. Francesco Schiavone Sandokan, Michele Zagaria und der Moccia-Clan waren die wichtigsten Partner von Cirio und Parmalat in Kampanien. In der gesamten Provinz Caserta, in weiten Teilen der Provinz Neapel, im südlichen Latium, in Teilen der Marken, der Abruz-zen und Enkaniens eroberte die von Cirio und später von Parmalat vertriebene Milch einen Marktanteil von neunzig Prozent - dank der engen Verbindungen zur casalesischen Camorra und dank der Schmiergelder, die die Konzerne den Clans zahlten, um ihre führende Position auf dem Markt nicht zu verlieren. Die hier vertriebenen Marken gehörten ursprünglich zu Eurolat, das 1999 von Cragnottis Cirio-Konzern an Tanzis Parmalat überging.
Die Staatsanwaltschaft ordnete die Beschlagnahme von drei Vertragsfirmen und mehreren Milchvertriebs- und Verkaufsfirmen an, die laut Anklage allesamt von der casalesischen Camorra kontrolliert wurden. Die Milchbetriebe waren Scheinfirmen, die im Auftrag der Casalesen agierten. Um in den Genuß einer Vorzugsbehandlung zu kommen, hatte Cirio und später dann Parmalat direkt mit Michele Zagarias Schwager verhandelt; Zagaria, seit zehn Jahren untergetaucht, führt den Clan der Casalesen. Ihre Sonderstellung sicherten sich Cirio und Parmalat insbesondere durch eine bestimmte Geschäftspolitik. Sie gewährten den Vertriebsfirmen ihrer Produkte statt der üblichen drei Prozent einen Sonderrabatt zwischen vier und sechseinhalb Prozent, darüber hinaus diverse Leistungsprämien. Auf die Weise konnten auch Supermärkte sowie der Einzelhandel gute Rabatte bekommen, und so erzielten die Casalesen für ihr Marktmonopol einen breiten Konsens. Wo keine gütliche Einigung erreicht und keine gemeinsame Basis gefunden wurde, griff man zum Mittel der Gewalt: Drohungen, Erpressung, Zerstörung der Lkws, die die Waren transportierten. Die Fahrer wurden zusammengeschlagen, die Lastzüge der Konkurrenzbetriebe überfallen, die Warenlager in Brand gesteckt. In diesem Klima der Angst war es bald unmöglich, andere als die von den Casalesen diktierten Milc hm arken zu vertreiben. Es fand sich auch niemand mehr, der bereit war, die Konkurrenzprodukte zu verkaufen. Die Rechnung zahlten die Verbraucher, denn da es aufgrund der Monopolstellung und des blockierten Marktes keinen echten Wettbewerb gab, gerieten die Endpreise außer Kontrolle.
Diese Absprachen zwischen den überregionalen Milchbetrieben und der Camorra kamen im Herbst 2000 ans Licht, als Cuono Lettiero, ein Mitglied der Casalesen, sich entschloß, mit der Justiz zusammenzuarbeiten und über das Handelsnetzwerk der Clans zu berichten. Eine stabile Absatzrate war der einfachste und direkteste Weg, Bankgarantien zu bekommen; davon träumt jedes große Unternehmen. Cirio und Parmalat wurden im juristischen Sinne zu »geschädigten Parteien«, also zu Opfern erpresserischer Machenschaften. Die Ermittler jedoch gelangten zu der Überzeugung, daß ein relativ entspanntes Geschäftsklima herrschte und beide Seiten - die überregionalen Konzerne und die örtlichen Camorristen - zu wechselseitiger Zufriedenheit agierten.
Cirio und Parmalat erstatteten niemals Anzeige gegen die kampanischen Clans, auch dann nicht, als im Jahr 1998 ein Mitarbeiter von Cirio in seinem Haus in der Provinz Caserta Opfer eines
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