Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
neuer Massive, die wie nach einer gewaltigen Explosion über weite Teile Süditaliens verstreut liegen, und zwar in den vier Regionen mit der größten Zahl an Umweltverbrechen: Kampanien, Sizilien, Kalabrien und Apulien. Zugleich die Regionen mit den größten kriminellen Organisationen, der höchsten Arbeitslosigkeit und der größten Zahl von Bewerbern für den Dienst beim Militär und bei der Polizei. Immer dieselben Regionen, ewig und unwandelbar. In der Provinz Caserta, dem Gebiet der Mazzoni zwischen dem Fluß Garigliano und dem Lago Patria, lagern seit dreißig Jahren Unmengen von giftigem und gewöhnlichem Müll.
Der Landstrich, der vom Krebsgeschwür der illegalen Giftmüllentsorgung am schlimmsten betroffen ist, umfaßt die Gemeinden Grazzanise, Cancello Arnone, Santa Maria La Fossa f Castelvolturno und Casal di Principe mit einer Fläche von fast dreihundert Quadratkilometern sowie die Gemeinden Giu-gliano, Qualiano, Villaricca, Nola, Acerra und Marigliano, die zur Provinz Neapel gehören. Nirgendwo sonst in der gesamten westlichen Welt lagert mehr illegaler Abfall und Giftmüll. Das Geschäft mit dem Müll spülte innerhalb von vier Jahren vierundvierzig Milliarden Euro in die Taschen der Clans und ihrer Mittelsmänner. Ein Markt mit einer Zuwachsrate von 29,8 Prozent in den letzten Jahren, vergleichbar nur mit dem Wachstum des Kokainmarkts. Seit Ende der neunziger Jahre wurden die camorristischen Clans auf dem europäischen Kontinent führend in der Müllentsorgung. Schon 2002 hieß es in einem parlamentarischen Bericht des Innenministeriums, die Abfallbeseitigung sei mehr und mehr ein Pakt zwischen den Unternehmen und einigen Verantwortlichen in den Behörden mit dem Ziel, den gesamten Kreislauf der Müllbeseitigung zu kontrollieren. Der casalesische Clan, bestehend aus zwei Hauptgruppen unter Führung von Schiavone Sandokan bzw. Francesco Bidognetti alias Cicciotto di Mezzanotte, teilt sich dieses lukrative Geschäft - einen Markt, so gigantisch, daß es trotz anhaltender Spannungen zwischen den beiden Gruppen bisher nie zu einer direkten Konfrontation gekommen ist. Aber die Casalesen sind nicht die einzigen. Das Kartell des Mallardo-Clans aus Giugliano leitet in Blitzgeschwindigkeit die Erträge aus seinen illegalen Geschäften in andere Kanäle um und ist in der Lage, gewaltige Mengen Müll auf ihr Territorium zu verbringen. In Giugliano wurde eine stillgelegte Kiesgrube entdeckt, die vollständig mit Müll aufgefüllt worden war. Das Gesamtvolumen des hier illegal entsorgten Abfalls entspricht rund achtundzwanzigtausend Lkw-Ladungen. Eine Zahl, die man sich als eine Lastwagenkolonne veranschaulichen kann, die, Stoßstange an Stoßstange, von Caserta bis Mailand reicht.
Die Bosse kennen keinerlei Skrupel, wenn es darum geht, das ganze Gift im eigenen Territorium abzuladen und den Boden im Umkreis ihrer Villen und ihres Herrschaftsgebiets zu kontaminieren. Das Leben eines Bosses ist kurz, die Macht eines Clans zwischen Bandenkriegen, Verhaftungen, Massakern und lebenslangen Freiheitsstrafen ist ebenfalls nicht von Dauer. Ein ganzes Territorium im Giftmüll ersticken zu lassen und in der Nähe von Wohngebieten Gebirgsketten aus kontaminiertem Abfall aufzutürmen wird nur für denjenigen zum Problem, dessen Macht auf Dauer angelegt ist und der soziale Verantwortung kennt. Im Hier und Jetzt des Geschäftslebens zählen einzig eine hohe Gewinnspanne und eine möglichst reibungslose Abwicklung. Der größte Teil des Giftmülls wird in einer Richtung entsorgt: von Nord nach Süd. Seit Ende der neunziger Jahre wurden achtzehntausend Tonnen Giftmüll aus Brescia in das Gebiet zwischen Neapel und Caserta verbracht, eine Million Tonnen landete innerhalb von vier Jahren in Santa Maria Capua Vetere. Der Müll aus den Aufbereitungsanlagen in Mailand, Pavia und Pisa wurde nach Kompanien verschoben. Laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaften Neapel und Santa Maria Capua Vetere vom Januar 2003 unter Leitung von Staatsanwalt Donato Ceglie wurden in einem Zeitraum von vierzig Tagen mehr als sechstausendfünfhundert Tonnen Müll aus der Lombardei nach Trentola Ducenta unweit von Caserta transportiert.
Das Hinterland von Neapel und Caserta ist mit Müll regelrecht zugepflastert, hier findet gewissermaßen der Lackmustest der italienischen Industrieproduktion statt. Anhand der Mülldeponien und Gruben läßt sich verfolgen, welches Schicksal die italienischen Industrieerzeugnisse über die Jahrzehnte hinweg erfahren
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