Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
übernahm man die Kosten einer Behandlung, wie es der Bido-gnetti-Clan machte, der seine Mitglieder in die besten Kliniken Europas und zu den besten Ärzten schickte. Brodella wurde kaltblütig erschossen. Die Kranken eliminieren, um die Seuche einzudämmen, so lautete der Befehl des Clans. Eine Infektionskrankheit, deren Ausbreitung so wenig kontrollierbar war wie diese, ließ sich nur aufhalten, wenn man die bereits Infizierten aus dem Verkehr zog. Die Kranken würden nur dann niemanden mehr anstecken, wenn man ihnen die Möglichkeit nahm zu leben.
Auch bei den Kapitalinvestitionen in Kampanien ging man auf Nummer sicher. In Anacapri hatte der Clan ein Haus gekauft, in dem sich die örtliche Carabinieri-Dienststelle befand; und natürlich bezahlten die Carabinieri ihre Miete immer pünktlich. Als aber die La Torre dahinterkamen, daß die Villa mehr Gewinn einbrachte, wenn sie touristisch genutzt wurde, setzten sie die Carabinieri kurzerhand vor die Tür und bauten das Haus zu einer Ferienanlage mit sechs Wohnungen samt Autostellplätzen um, bevor die Antimafia-Staatsanwaltschaft das Anwesen beschlagnahmte. Saubere, sichere Investitionen ohne jedes spekulative Risiko.
Nachdem Augusto zum Kronzeugen der Justiz geworden war, bekam der neue Boss Luigi Fragnoli, der stets loyal zu den La Torre gestanden hatte, Probleme mit einigen Mitgliedern. Eines von ihnen war Giuseppe Mancone, genannt »Rambo«, der eine vage Ähnlichkeit mit Sylvester Stallone besaß und seine Muskeln im Fitnesstudio gestählt hatte. Er fing an, mit Drogen zu handeln, und wäre damit in kürzester Zeit zu einer wichtigen Figur aufgestiegen. Anschließend hätte er die alten Bosse, deren Ansehen nach ihrem Geständnis ohnehin ruiniert war, mit einem Fußtritt ins Abseits befördern können. Nach Ermittlungen der Antimafia-Staatsanwaltschaft baten die Clans von Mondragone die Familie Birra aus Ercolano, ihnen ein paar Killer zu schicken. Und so trafen im August 2003 zwei Männer aus Ercolano in Mondragone ein, um »Rambo« zu eliminieren. Sie kamen auf einem jener Motorradmonster, die nicht besondes gut manövrierbar sind, aber so bedrohlich wirken, daß sie als Fahrzeug für einen Mordanschlag wie geschaffen sind. Die beiden waren noch nie in Mondragone gewesen, aber sie fanden schnell heraus, daß sich ihr Opfer wie gewöhnlich in der Roxy Bar aufhielt. Sie fuhren vor. Ein junger Mann stieg ab, trat mit sicheren Schritten auf »Rambo« zu, feuerte ein ganzes Magazin auf ihn ab, drehte sich um und schwang sich wieder auf das Gefährt.
»Alles in Ordnung? Hast du’s erledigt?«
»Ja, hab ich. Los, fahr schon ...«
Vor der Bar stand eine Gruppe junger Frauen, die sich über ihre Sommerferien beratschlagten. Als sie den Mann im Laufschritt aus der Bar kommen sahen, wußten sie augenblicklich, was los war, sie hatten das Rattern der automatischen Waffe nicht für Knallfrösche gehalten. Sie warfen sich zu Boden, aus Angst, von dem Killer gesehen und damit zu Zeugen zu werden. Eine von ihnen aber schlug die Augen nicht nieder. Sie blickte dem Killer ins Gesicht, ohne sich auf das Straßenpflaster zu werfen oder die Hände vors Gesicht zu reißen. Eine Kindergärtnerin, fünfunddreißig Jahre alt. Sie ging zur Polizei, sagte als Zeugin aus und identifizierte den Täter. Es gibt viele Gründe, die dafür sprachen zu schweigen, so zu tun, als wäre nichts gewesen, nach Hause zurückzukehren und weiterzuleben wie bisher. Einer dieser Gründe ist die Angst. Die Furcht vor Einschüchterungen und mehr noch das Gefühl, daß es ohnehin keinen Sinn hat, wenn ein Killer verhaftet wird, einer von vielen. Und dennoch fand die Kindergärtnerin aus Mondragone trotz all der Gründe zu schweigen einen Grund, dies nicht zu tun: sie wollte die Wahrheit aussprechen. Ein ganz natürlicher Impuls, ein ganz gewöhnlicher, normaler und selbstverständlicher Akt, so notwendig wie das Atmen. Sie klagte an, ohne dafür etwas einzufordern. Sie verlangte weder eine Belohnung noch Personenschutz, sie verkaufte ihr Wort nicht. Sie schilderte, was sie gesehen hatte, beschrieb das Aussehen des Killers, seine knochigen Wangen, die buschigen Augenbrauen. Nach dem Anschlag flüchteten die Täter auf ihrem Motorrad, verfuhren sich mehrmals, bogen in Sackgassen ein und mußten wenden. Sie wirkten nicht wie Killer, eher wie zwei Touristen, die die Orientierung verloren hatten. Im Prozeß, der sich auf die Zeugenaussage der Kindergärtnerin stützte, wurde Salvatore Cefariello,
Weitere Kostenlose Bücher