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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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mongolischen Augen, die sich im Alter zu Schlitzen verengen. Er schläft den Schlaf der Gerechten. Er geht vielleicht nicht als glücklicher, aber doch als zufriedener Mensch zu Bett, die Pantoffeln ordentlich unters Bett geschoben; selbst wenn er ernst ist, beschreibt sein Mund einen Bogen nach oben. Ähnlich wie bei diesem Fettsack in Full Metal Jacket. Der Mund lächelt, das Gesicht nicht.
    Wenn ich mir die Aufnahmen von Michail Kalaschnikow ansehe, muß ich an Alfred Nobel denken, der für den nach ihm benannten Preis berühmt ist. In Wirklichkeit hat er das Dynamit erfunden. Fotografien von Nobel aus den späteren Jahren, als das Dynamit produziert wurde und er begriffen hatte, zu welchem Zweck man seine Mischung aus Nitroglyzerin und Kieselgur einsetzen konnte, zeigen einen von Kummer und Sorge zerstörten Menschen, der sich den Bart rauft. Es mag Einbildung sein, aber für mich sagen diese Aufnahmen, diese Porträts von Nobel mit zusammengezogenen Augenbrauen und verlorenem Blick nur eins: »Das habe ich nicht gewollt. Ich wollte die Berge öffnen, Felsen zertrümmern und Tunnel bauen. Was geschehen ist, lag nicht in meiner Absicht.« Kalaschnikow dagegen wirkt stets heiter, er trägt die Miene eines alten, erinnerungsgesättigten russischen Pensionärs zur Schau. Gut vorstellbar, wie er mit nach Wodka riechendem Atem von einem Freund erzählt, mit dem er die Kriegszeit erlebt hat, oder einem bei Tisch zuflüstert, daß er als junger Mann im Bett keine Ermüdungserscheinungen kannte. Wenn ich mein kindliches Spiel der Phantasie weitertreibe, scheint Michail Kalaschnikows Gesicht zu sagen: »Alles bestens, das sind nicht meine Probleme, ich habe nur eine Waffe erfunden. Was andere damit machen, geht mich nichts an.« Eine Verantwortung, die sich auf den engsten Lebens- und Handlungskreis beschränkt. Man ist nur für das Rechenschaft schuldig, was man eigenhändig getan hat. Das ist, glaube ich, auch einer der Faktoren, die den alten General zur unfreiwilligen Ikone der Clans überall auf der Welt machen. Michail Kalaschnikow ist kein Waffenhändler, er hat mit dem Geschäft nichts zu tun. Er besitzt keinen politischen Einfluß und ist keine charismatische Persönlichkeit. Aber ihm ist das Gebot der Stunde ins Gesicht geschrieben, der Imperativ im Zeitalter des Marktes: tu, was du tun mußt, um erfolgreich zu sein, der Rest geht dich nichts an.
    Mariano trug einen Rucksack über einer Fleecejacke mit Kapuze, alles versehen mit dem Label Kalaschnikow. Der General hatte seine Investitionen diversifiziert und entpuppte sich mm als tüchtiger Unternehmer. Niemand war bekannter als er. Aus diesem Grund hatte ein deutscher Unternehmer eine Fabrik mit Kleidungsstücken der Marke Kalaschnikow gegründet. Der General fand Gefallen daran, seinen Namen zu vermarkten, darüber hinaus hatte er in eine Fabrik für Feuerlöscher investiert. Mitten in der Erzählung brach Mariano plötzlich ab und stürzte aus der Bar. Aus seinem Wagen holte er ein grünes Militärköfferchen, das er auf den Tresen stellte. Im ersten Moment glaubte ich, er hätte vollkommen den Verstand verloren mit seiner Glorifizierung des Sturmgewehrs und wäre mit einer Kalaschnikow im Gepäck quer durch Europa gereist, um sie mir hier und jetzt, vor aller Augen, zu zeigen. Und der Militärkoffer enthielt tatsächlich eine Kalaschnikow - eine kleine aus Glas, mit Wodka gefüllt. Eine furchtbar kitschige Flasche, bei der der Verschluß das Rohrende imitierte. Nach seiner Rußlandreise bot Mariano allen Bars im Hinterland von Aversa, die er belieferte, Wodka Kalaschnikow an. Schon stellte ich mir vor, wie diese gläserne Nachbildung in den Regalen sämtlicher Bars zwischen Teverola und Mondragone prangte. Marianos Videofilm näherte sich dem Ende. Meine Augen schmerzten, denn ich bin kurzsichtig und hatte sie die ganze Zeit zusammenkneifen müssen. Doch das letzte Bild war wirklich sehenswert: das alte Ehepaar auf der Türschwelle, Pantoffeln an den Füßen, winkte dem jungen Besucher zum Abschied, im Mund noch den letzten Bissen Mozzarella. Um Mariano und mich hatte sich langst eine Gruppe Jugendlicher geschart, für die der Heimkehrer selbst eine Art Held war, ein Auserwählter. Er hatte Michail Kalaschnikow persönlich kennengelernt. Mariano sah mich mit einer Verschwörermiene an, die ich gar nicht an ihm kannte. Dann löste er das Gummiband von dem Packen Fotos und begann sie durchzusehen. Eines zog er heraus und meinte: »Das ist für dich. Und sag

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