Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
bloß nicht, daß ich nicht an dich denke.«
Auf dem Foto des alten Generals stand mit schwarzem Filzstift: »To Roberto Saviano with Best Regards M. Kalashni-kov.«
Die internationalen Wirtschaftsforschungsinstitute benötigen ständig neues Datenmaterial, das sie als tägliches Brot für Zeitungen, Zeitschriften und politische Parteien aufbereiten. Der berühmte »Big-Mac-Index« zum Beispiel, dem zufolge Wohlstand und Kaufkraft eines Landes um so größer sind, je mehr bei McDonald’s ein Hamburger kostet. Bei der Bewertung der Menschenrechte in einem bestimmten Land ziehen die Analysten dagegen den Kaufpreis einer Kalaschnikow als Vergleichsgröße heran. Je billiger das Schnellfeuergewehr, desto schwerer sind die Menschenrechtsverstöße in diesem Land, desto geringer ist die Rechtssicherheit und desto morscher und zerrütteter das soziale Gefüge. In Westafrika kostet eine Kalaschnikow bis zu fünfzig Dollar. Im Jemen bekommt man AK-47-Gewehre aus zweiter oder dritter Hand sogar schon für sechs Dollar. Die Ausweitung ihrer Herrschaft in den Osten und der Griff nach den Waffenarsenalen der zerfallenden sozialistischen Länder machten die Clans von Caserta und Neapel - neben den kalabresischen Mafiagruppen, mit denen sie in ständigem Kontakt stehen - zu einer der Topadressen für den internationalen Waffenschmuggel.
Die Camorra, die einen großen Teil des weltweiten Waffenhandels kontrolliert, bestimmt den Preis für Kalasch nik ows und entscheidet damit indirekt über die Qualität der Menschenrechte im Westen. Eine Art Trockenlegung von Recht und Gesetz, ganz langsam, gewissermaßen Tropfen für Tropfen, die versickern. Während kriminelle Gruppen in Frankreich und Amerika noch Eugene Stoners M16 verwendeten - das unhandliche, sperrige und schwere Sturmgewehr der Marines, das geölt und gereinigt werden muß, will man keine Ladehemmung riskieren -, gingen in Sizilien und Kampanien, von Cinisi bis Casal di Principe, schon in den achtziger Jahren Kalaschnikows von Hand zu Hand. Als Raffaele Spinello aus dem
Genovese-Clan, der Herr über Avellino und Umgebung, im Jahr 2003 als Kronzeuge der Justiz auspackte, wurden die Verbindungen zwischen der baskischen ETA und der Camorra bekannt. Der Genovese-Clan ist mit den Cava aus Quindici und den Familien der Provinz Caserta verbündet. Es ist kein sonderlich bedeutender Clan, dennoch war er der Waffenlieferant für eine der wichtigsten bewaffneten Organisationen in Europa, die im Laufe ihres dreißigjährigen Kampfes alle möglichen Versorgungskanäle genutzt hatte. Und doch waren die kampanischen Clans ihre bevorzugten Geschäftspartner geworden. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Neapel aus dem Jahr 2003 verhandelten zwei etarras, die baskischen Militanten Jose Miguel Arreta und Gracia Morillo Torres, in einer Hotelsuite in Mailand zehn Tage lang über Preise, Transportrouten und Modalitäten der Übergabe. Man wurde handelseinig. Die ETA lieferte Kokain und erhielt dafür Waffen. Sie drückte den Preis für Kokain, das sie sich über ihre Kontakte mit kolumbianischen Guerillagruppen beschaffte, und übernahm die Kosten und die Verantwortung für den Transport der Ware nach Italien - nur damit die Beziehungen zu den kampanischen Kartells aufrechterhalten wurden, womöglich den einzigen, die ganze Waffenarsenale beschaffen konnten. Aber die ETA wollte nicht nur Kalaschnikows. Sie wollte schwere Waffen, starken Sprengstoff und vor allem Raketenwerfer.
Die Beziehungen zwischen der Camorra und den Guerillakämpfern waren schon immer profitabel. Sogar in Peru, seit jeher Wahlheimat neapolitanischer Drogenschmuggler. Im Jahr 1994 wandte sich die neapolitanische Justiz mit einem Amtshilfeersuchen an die peruanischen Behörden, nachdem in Lima ein Dutzend Italiener umgebracht worden waren. Die Fahnder wollten die Beziehungen zwischen den neapolitanischen Clans und - vermittelt durch die Brüder Rodriguez -dem MRTA offenlegen, den Guerillakämpfern, die sich ein dreieckiges rot-weißes Tuch übers Gesicht zogen. Auch sie - sogar sie - hatten mit den Clans verhandelt. Kokain im
Tausch gegen Waffen. 2002 wurde der Anwalt Francesco Ma-gliulo verhaftet. Laut Anklage stand er mit dem Mazzarella-Clan in Verbindung, der mächtigen Familie aus San Giovanni a Teduccio mit einer kriminellen Dependance in den Vierteln Santa Lucia und Forcella in Neapels Innenstadt. Zwei Jahre lang wurde er von der Polizei beschattet, während er in Ägypten, Griechenland und England
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