Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Geschäfte tätigte. Ein abgehörtes Telefonat führte er aus Mogadischu, aus der Villa General Aidids, dem somalischen Kriegsherrn, der gegen die Gruppen um Ali Mahdi kämpfte und aus Somalia einen ausgeweideten, verrotteten Kadaver machte, den man nur noch zusammen mit dem Giftmüli halb Europas vergraben konnte. Die Ermittlungen zu den Beziehungen zwischen dem Mazzarella-Clan und Somalia wurden in alle Richtungen geführt, und der Waffenschmuggel war sicherlich eine wichtige Spur. Angesichts der Notwendigkeit, sich bei den kampanischen Clans mit Waffen versorgen zu müssen, werden auch die brutalsten Kriegsherren handza hm .
In Sant’Anastasia, einer Ortschaft an den Hängen des Vesuv, fand man im März 2005 ein spektakuläres Waffenlager. Die Entdeckung verdankte sich teils dem Zufall, teils der Undiszipliniertheit der Waffenschmuggler, die sich auf offener Straße Schlägereien lieferten, weil sich Auftraggeber und Transporteure nicht über den Preis einigen konnten. Die Carabinieri montierten die Verkleidung im Innern des Kleintransporters ab, der unmittelbar am Schauplatz der Schlägerei abgestellt worden war, und stießen auf eines der größten mobilen Waffendepots, die sie je gesehen hatten. Uzi-Maschinenpistolen mit jeweils vier Patronenlagern, sieben Magazinen und hundertzwölf Projektilen Kaliber 380, Maschinenpistolen russischer und tschechischer Herkunft mit einer Kadenz von neun-himdertfünfzig Schuß pro Minute. So gut wie neu, perfekt geölt und mit intakter Registriernummer, waren die Gewehre frisch aus Krakau eingetroffen. Neunhundertfünfzig Schuß pro Minute, das entsprach der Feuerkraft der amerikanischen Helikopter in Vietnam. Waffen, mit denen ganze Divisionen von Männern samt Kettenfahrzeugen niedergemäht worden waren, befanden sich plötzlich in den gewaltbereiten Händen einiger Camorra-Familien aus der Gegend um den Vesuv. Derart waffenstarrend, kann man selbst nach der realen levia-thanischen Macht des Staates greifen, dessen Herrschaft sich lediglich auf die potentielle Gewalt beruft. In den Waffendepots der Camorra lagern Bazookas, Handgranaten, Panzerabwehrminen und Schnellfeuergewehre, tatsächlich zum Einsatz kommen jedoch ausschließlich Kalaschnikows, Uzi-Maschinenpistolen sowie automatische und halbautomatische Pistolen. Der Rest ist Teil einer Ausrüstung, die dazu dient, die militärische Macht auszubauen und vor Ort vorzeigen zu können. Mit ihren schlagkräftigen Waffenarsenalen stellen sich die Clans nicht der legitimen Gewalt des Staates entgegen, sondern streben danach, für sich ein Gewaltmonopol zu erobern. Kampanien ist nicht gerade besessen von dem Gedanken, die Waffen ruhen zu lassen, wie es die alten Clans der Cosa Nostra vorgezogen haben. Waffengewalt ist hier nichts anderes als die direkte Konsequenz der Kapital- und Territorialherrschaft, der Machtansprüche neuer, aufstrebender Gruppen und rivalisierender Fa mili en. Als verfügten ausschließlich sie über die Idee der Gewalt, den Körper der Gewalt, über die entsprechenden Gewaltmittel. Die Gewalt wird ihr ureigenes Terrain. Ihre Ausübung bedeutet Ausübung ihrer Macht, der Macht des Systems. Die Clans bauten sogar neue Waffen, die von ihren eigenen Mitgliedern entwickelt wurden. Im Jahr 2004 fand die Polizei in Sant’Antimo nördlich von Neapel in einem mit Unkrautbüscheln bedeckten Erdloch ein sonderbares Gewehr, eingewickelt in ein mit Öl getränktes Baumwolltuch. Eine selbstgebastelte zerstörerische Waffe, die auf dem Markt für zweihundertfünfzig Euro zu haben ist: nichts, verglichen mit einer halbautomatischen Waffe, die durchschnittlich zweitausendfünfhundert Euro kostet. Dieses Gewehr der Clans hat eine Gabelung mit zwei Rohren, die sich unabhängig voneinander verwenden lassen. Montiert man beide, wird daraus ein tödliches Gewehr; als Munition dienen Patronen oder Schrotkugeln. Entwickelt nach dem Modell eines Spielzeuggewehrs aus den achtziger Jahren, das Tischtennisbälle ausspuckte, wenn man gegen den Kolben drückte, so daß im Innern eine Feder ausgelöst wurde. Ein Spielzeuggewehr, mit dem unzählige italienische Kinder im Wohnzimmer Krieg spielten. Ausgerechnet dies war das Modell für ein Gewehr, das nur » 0 tubo«, das Rohr, genannt wird. Es besteht jedoch aus zwei Rohren, eines davon ist vierzig Zentimeter lang, von größerem Durchmesser und mit einem senkrechten Schaft. Im Innern befindet sich eine große Metallschraube, deren Spitze als Verschluß dient. Das zweite Rohr hat
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