Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
einen kleineren Durchmesser und ist gedacht für eine Patrone Kaliber 20; der Schaft ist seitlich angebracht. Unglaublich simpel und von erschreckender Durchschlagskraft. Das Gewehr hat den Vorteil, daß man nach Gebrauch keine Komp lik ationen befürchten muß. Man braucht nach dem Anschlag nicht zu fliehen und die Waffe zu zerstören. Man braucht sie nur zu zerlegen, und schon ist sie nur noch ein harmloses, zweiteiliges Rohr und bei einer eventuellen Durchsuchung völlig unverdächtig.
Vor der Beschlagnahme dieser Waffe hatte ich einen armen Hirten von diesem Gewehr erzählen hören, einen jener ausgemergelten italienischen Landbewohner, die bis heute mit ihren Herden über ein von Autobahnbrücken und den Mietskasernen der Vorstädte parzelliertes Land ziehen. Der Hirte fand immer wieder Schafe aus seiner Herde in zwei Hälften geteilt, eher zerhackt als zerschnitten. Diese mageren neapolitanischen Schafe, durch deren Fell man die Rippen sieht und die dioxinverseuchtes Gras fressen, das ihre Zähne verfaulen und ihre Wolle grau werden läßt. Der Hirte glaubte, es stecke eine Kampfansage dahinter, die Provokation vielleicht durch einen Nachbarn, einen Hungerleider wie er, der seinerseits kranke Tiere hatte. Es ergab aber keinen Sinn. In Wirklichkeit testeten die Hersteller des »tubo« die Schlagkraft ihrer Waffe an diesen mageren Tieren. Die Schafe eigneten sich optimal zum Erproben der Zerstörungskraft der Projektile und der Tauglichkeit dieser Waffe. Durch die Wucht der Geschosse wurden die Tiere in die Luft geschleudert und zerrissen wie die Zielobjekte eines Videospiels.
Das Waffenproblem wird in den Eingeweiden der Wirtschaft versteckt gehalten, umhüllt von einem Pankreas des Schweigens. Italien gibt siebenundzwanzig Milliarden Dollar für Waffen aus, mehr als Rußland und doppelt soviel wie Israel. Diese Rangliste erstellte das internationale Friedensforschungsinstitut SIPRI in Stockholm. Berücksichtigt man neben diesen Daten aus der legalen Wirtschaft die drei Milliarden dreihundert Millionen Dollar, die nach Angaben von EURISPES Camorra, ‘Ndrangheta, Cosa Nostra und Sacra Corona Unita mit Waffenverkäufen umsetzen, so ergibt sich, daß Staat und Clans zusammengenommen drei Viertel der in der halben Welt zirkulierenden Waffen kontrollieren. Das Kartell der Casalesen ist unbestritten derjenige kriminelle Zusammenschluß, welcher auf internationaler Ebene nicht nur Banden und Milizen, sondern ganze Armeen mit Waffen versorgt. Während des Falklandkriegs 1982 zwischen Großbritannien und Argentinien erlebte Argentinien seine finsterste Zeit der wirtschaftlichen Isolation. In dieser Situation kam die Camorra mit Argentinien ins Geschäft und bot sich als heimliche Vermittlerin im Handel mit Waffen an, die offiziell nicht zu haben waren. Die Clans verfügten über Reserven für einen langen Krieg, doch der Konflikt begann im März und war schon in Juni beendet. Wenige Schüsse, wenige Tote, wenig Bedarf. Ein Krieg, der eher den Politikern als den Geschäftsleuten nützte, eher der Diplomatie als der Ökonomie. Die Clans von Caserta dachten jedoch nicht daran, die Waffen zu verscherbeln, um schnelles Geld zu machen. An dem Tag, als das Ende des Kriegs verkündet wurde, hörte der britische Geheimdienst ein Telefongespräch zwischen Argentinien und San Cipriano d’Aversa ab. Nur zwei Sätze, aber das genügte, um zu verstehen, was für eine Macht und was für diplomatisches Geschick die casertani-schen Familien besaßen:
»Hallo?«
»Ja.«
»Hier ist der Krieg zu Ende, was sollen wir tun?«
»Macht euch keine Sorgen, woanders gibt’s bald wieder einen ...«
Die Macht in ihrer Weisheit besitzt eine Geduld, die oft den tüchtigsten Unternehmern fehlt. 1977 mischten die Casalesen im Panzergeschäft mit. Nach Informationen des italienischen Geheimdiensts stand im Bahnhof von Villa Literno ein Leopard-Panzer, zerlegt und bereit zum Abtransport. Lange beherrschte die Camorra das Geschäft mit Leopard-Panzern. Im Februar 1986 wurde ein Telefongespräch abgehört, in dem Vertreter des Nuvoletta-Clans mit der damaligen DDR über ein Panzergeschäft verhandelten. Auch nach internen Führungswechseln blieben die Casalesen auf internationaler Ebene die Ansprechpartner nicht nur für kleinere politische Gruppierungen, sondern für die Streitkräfte ganzer Staaten. Nach Dokumenten des militärischen Geheimdienstes SISMI und der Spionageabwehr in Verona aus dem Jahr 1994 stand Zeljko Raznatovic, besser bekannt
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