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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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schmecken. Wodka und Mozzarella. Auch diese Szene hatte Mariano unbedingt aufnehmen wollen, und so hatte er die Kamera an einem Ende des Tisches aufgestellt und laufen lassen. Er wollte dokumentieren, wie General Kalaschnikow Mozzarella aus der Käserei des Bosses verzehrte, für den Mariano arbeitete. Die Aufnahme zeigte im Hintergrund ein Möbelstück mit gerahmten Fotos von Kindern. Zwar konnte ich es kaum erwarten, daß das Video zu Ende war, weil mir schon ganz schlecht war von den verwackelten Bildern, trotzdem konnte ich meine Neugier nicht bezähmen:
    »Mariano, sind das alles die Kinder und Enkel von Kalaschnikow?«
    »Ach woher! Das sind Fotos der Sprößlinge von Leuten, die ihren Kindern seinen Namen gegeben haben. Leute, denen eine Kalaschnikow das Leben gerettet hat oder die ihn schlicht und einfach bewundern ...«
    Ähnlich wie ein Chirurg die Fotos der Kinder, denen er das Leben gerettet, die er operiert und geheilt hat, rahmt und in seinem Sprechzimmer aufstellt, um an seine beruflichen Erfolge zu erinnern, bewahrt auch General Kalaschnikow im Wohnzimmer seines Hauses die Fotos der Kinder auf, die den Namen seiner Erfindung tragen. Ein bekannter Guerillakämpfer der angolanischen Befreiungsbewegung erklärte übrigens im Interview mit einem italienischen Reporter: »Ich habe meinem Sohn den Namen Kalsh gegeben, was soviel bedeutet wie Freiheit.«
    Kalaschnikow ist vierundachtzig, ein rüstiger alter Mann, der sich gut gehalten hat. Ständig bekommt er Einladungen. Er ist eine Art Ikone, die überall herumgereicht wird, stellvertretend für das berühmteste Sturmgewehr der Welt. Ehe er als Armeegeneral in Pension ging, bezog er ein Monatsgehalt von fünfhundert Rubel, nach damaligem Wert etwa fünfhundert Dollar. Hätte Kalaschnikow die Möglichkeit gehabt, sein Gewehr im Westen patentieren zu lassen, er wäre heute wohl einer der reichsten Männer der Welt. Schätzungen zufolge (Näherungswerte gerundet) wurden bisher mehr als hundertfünfzig Millionen Sturmgewehre der Baureihe Kalaschnikow hergestellt, die allesamt auf dem Prototyp des Generals basieren. Wenn er für jede dieser Waffen auch nur einen Dollar erhalten hätte, würde er heute in Geld schwimmen. Daß der Geldsegen ausgeblieben war, diese Tragik berührte ihn überhaupt nicht. Er war es, der die Waffe erfunden und seinem Geschöpf seinen Atem eingehaucht hatte, das war für ihn Befriedigung genug. Finanzielle Vorteile hat sie ihm gleichwohl gebracht. Mariano erzählte mir, Kalaschnikow erhalte von seinen Bewunderern Geldzuwendungen. Tausende Dollars gingen auf sein Konto ein, wertvolle Geschenke erreichten ihn aus Afrika. Mobuto, so erzählt man sich, habe ihm eine goldene Stammesmaske und Bokassa einen Baldachin mit Elfenbeinintarsien geschenkt; aus China soll er sogar einen ganzen Zug bekommen haben, Waggons mitsamt einer Lokomotive. Deng Xiaoping wußte, daß der General nicht gern in ein Flugzeug steigt. Aber das waren nur Legenden, Gerüchte, in Umlauf gesetzt von Journalisten, die die Arbeiter in der Rüstungsfabrik von Ischewsk interviewten, weil sie an den General selbst nicht herankamen. Denn Kalaschnikow empfängt nur Besucher, die ihm von maßgeblichen Leuten empfohlen werden.
    Michail Kalaschnikow gab auf alle Fragen stereotype, stets gleichlautende Antworten. Er sprach ein flüssiges, einfaches Englisch, das er als Erwachsener gelernt hatte und wie einen Schraubenzieher benutzte. Vor lauter Aufregung stellte ihm Mariano völlig überflüssige, viel zu allgemeine Fragen. »Ich habe diese Waffe nicht erfunden, damit man sie verkauft und Geld damit verdient, sondern einzig und allein zur Verteidigung des Vaterlands in einer Epoche, da dies bitter nötig war. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich genau dasselbe tun und genauso leben. Ich habe mein Leben lang gearbeitet, meine Arbeit ist mein Leben.« So lautete Kalasch nik ows Standardantwort auf die Frage nach seiner Waffe.
    Nichts auf dieser Welt, sei es organisch oder anorganisch, kein anderes Objekt aus Metall und kein anderes chemisches Element hatte zerstörerischere Folgen als die AK-47. Die Kalaschnikow brachte mehr Menschen den Tod als die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, verursachte mehr Todesfälle als das HIV-Virus oder die Beulenpest, forderte mehr Todesopfer als sämtliche Anschläge islamischer Fundamentalisten, als alle Beben, die jemals die Erde verwüsteten. Eine unvorstellbar große, eine astronomische Zahl von Menschenleben. Nur einem

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