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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Clans. In einer Bar in Casal di Principe, derselben wie immer, traf ich ihn wieder. Er hatte einen dicken Packen Fotos bei sich, mit einem Gummi umwickelt wie Panini-Sammelbilder. Es waren Porträtaufnahmen Michail Kalaschnikows samt Autogramm und Widmung. Vor der Abreise hatte sich Mariano jede Menge Abzüge eines Fotos von Kalaschnikow machen lassen. Es zeigte ihn in der Uniform eines Generals der Roten Armee, auf der Brust eine Kaskade von Medaillen: den Leninorden, die Ehrenmedaille des Großen Vaterländischen Kriegs, den Orden des Roten Sterns, den Orden des Roten Arbeitsbanners. Mariano hatte ihn mit Hilfe einiger Russen ausfindig gemacht, die mit den Gruppen in der Provinz Caserta Geschäfte machten. Sie hatten den Kontakt zu dem General hergestellt.
    Michail Timofejewitsch Kalaschnikow lebte in einem Mietshaus in der Ortschaft Ischewsk-Ustinow am Fuße des Ural, die bis 1991 nicht einmal auf der Landkarte verzeichnet war. Es war eines der zahllosen Territorien, die von der UdSSR geheimgehalten wurden. Kalaschnikow war die Attraktion. Seinetwegen hatte man eine direkte Verkehrsverbindung nach Moskau gebaut, denn inzwischen pilgerten handverlesene Touristen zu ihm. Das Hotel neben seinem Haus, in dem auch Mariano übernachtet hatte, machte ein Bombengeschäft mit all den Bewunderern des Generals, die hier auf seine Rückkehr von irgendeiner Rußlandtournee oder einfach nur darauf warteten, von ihm empfangen zu werden. Mariano betrat das Haus des Generals Kalaschnikow und seiner Frau mit der Videokamera am Handgelenk. Der General gestattete ihm zwar, Aufnahmen zu machen, bat ihn allerdings, sie nicht zu veröffentlichen. Und Mariano nickte - wohl im Bewußtsein, daß derjenige, der ihm dieses Treffen vermittelt hatte, seine Adresse, seine Telefonnu mm er und sein Gesicht kannte. Mariano überreichte dem General ein mit Klebeband umwickeltes Styroporkistchen, auf dem lauter Büffelköpfe abgebildet waren. Er hatte dieses Kistchen mit Büffelmozzarella aus Aversa, eingelegt in Molke, im Kofferraum seines Autos bis hierher gebracht.
    Mariano zeigte mir den Film von seinem Besuch im Hause Kalaschnikow auf dem kleinen Monitor seiner Videokamera. Die Bilder waren verwackelt, die Nahaufnahmen verzerrt, die Gesichter tanzten, das Objektiv schlug offenbar ständig gegen Daumen und Handgelenk. Das Video kam mir vor, als hätten es Schüler bei einem Schulausflug gedreht, während sie wild durch die Gegend rannten. Kalaschnikows Haus ähnelte der Datscha von Gennaro McKay Marino, vielleicht war es aber auch einfach nur eine typische Datscha. Ich jedoch kannte nur die des abtrünnigen Bosses in Arzano, die Kalaschnikows Haus, wie ich fand, aufs Haar glich. Die Wände im Haus der Familie Kalaschnikow waren mit Reproduktionen von Gemälden Vermeers förmlich tapeziert, die Möbel überladen mit allem möglichen Nippes aus Kristall und Holz. Der Fußboden war komplett mit Teppichen ausgelegt. An einer Stelle des Videos legt der General die Hand vor das Objektiv. Mariano erzählte mir, er habe mit der Kamera herumgefuchtelt und dreist die Tür zu einem Zimmer geöffnet, von dem Kalaschnikow auf keinen Fall eine Videoaufnahme zulassen wollte. In einem Metallschränkchen an der Wand wurde hier, gut sichtbar hinter Panzerglas, das erste Modell der Kalaschnikow aufbewahrt -der Prototyp, gebaut nach den Zeichnungen, die der Legende nach der alte General (damals noch ein unbekannter junger Unteroffizier) während eines Lazarettaufenthalts auf Zettel gekritzelt hatte. Von einer Kugel verwundet, brannte er darauf, eine Waffe zu entwickeln, mit der die frierenden und hungernden Soldaten der Roten Armee unbesiegbar wären. Die erste AK-47 der Geschichte, so eifersüchtig gehütet, wie Dagobert Duck seinen ersten selbstverdienten Cent bewachte. Die berühmte Nummer eins in einem gepanzerten Schaukasten, geradezu obsessiv geschützt vor dem Zugriff der Panzerknak-ker. Dieses Modell ist unbezahlbar. Für den Besitz der militärischen Reliquie hätten viele wirklich alles gegeben. Nach Kalaschnikows Tod wird sie wohl bei Christie’s unter den Hammer kommen, wie die Gemälde Tizians und die Zeichnungen Michelangelos.
    Mariano verbrachte den ganzen Vormittag bei den alten Kalaschnikows. Sein russischer Mittelsmann muß wirklich einflußreich sein, wenn ihm der General derart vertraute. Marianus Kamera hielt fest, wie sie am Tisch saßen und eine zierliche Alte den Styropordeckel des Mozzarella-Kistchens öffnete. Sie ließen es sich

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