Gondeln aus Glas
– so hatte er es beim Militär gelernt –, und überreichte ihm einen zusammengefalteten Bogen. «Von Sergente Bossi, Commissario.»
Bossis Mitteilung war kurz, aber sie hatte es in sich. Sie lautete: Orlow ist tot. Näheres in der Questura.
«Eine Militärpatrouille hat ihn mit durchgeschnittener Kehle aus der Sacca della Misericordia gefischt», sagte Sergente Bossi eine halbe Stunde später zu Tron auf der Questura. «Die Soldaten sind einer schreienden Frau zu Hilfe geeilt, die von einem Mann bedroht wurde. Sie standen in einer Blutlache.
Dann haben die Soldaten gesehen, dass auch die Steinkante des Kais voller Blut war, und Orlows Leiche entdeckt. Die Flut hat Orlow an die Kaimauer gedrückt.»
«Und was ist danach passiert?»
«Einer der beiden Soldaten hat Verstärkung geholt. Als die Männer da waren, haben sie die Leiche Orlows ins Ognissanti gebracht und die Frau und den Mann in die Kaserne an der Dogana. Die Frau wurde nach dem Verhör freigelassen. Orlow hatte seine Papiere bei sich. Deshalb konnten sie ihn identifizieren.»
«Hat der Mann diese Frau nun bedroht oder nicht?»
«Er hat sie nicht bedroht. Es war ein Missverständnis.»
«Und wo ist der Mann jetzt?»
«Unten im Arrest», sagte Bossi. «Sie wollten ihn nicht in der Kaserne behalten, ihn aber auch nicht freilassen. Also haben sie ihn heute Morgen in die Questura gebracht. Zusammen mit einem Überstellungsprotokoll, in dem der Name des Toten, der Frau und des Mannes stehen.» Bossi machte eine Pause und sah Tron einen Moment lang vergnügt an.
Dann sagte er schwungvoll: «Bei der Frau handelt es sich um Signorina Violetta.»
Das war eine Mitteilung, die ein paar Sekunden brauchte, um den Weg von Trons Ohren zu seinem Gehirn zurückzulegen. «Signorina Violetta? Die mit dem gut situierten Herrn unterwegs war? Zu ihrer Wohnung? Und die wir nach der Vorstellung nicht aus den Augen lassen sollten?»
Bossi lächelte. «Die wir auch nicht aus den Augen gelassen haben, Commissario. Nur hat sich unser Informant zurückgezogen, als die Patrouille aufgetaucht ist.» Tron fragte sich, ob Bossi, ebenso wie er selbst, davon überzeugt war, dass es diesen Informanten tatsächlich gab, wenn er über ihn sprach.
«Ob Spaur das glauben wird?»
«Die Vorstellung war gegen elf beendet. Zwanzig Minuten später sind die beiden aufgegriffen worden.
Signorina Violetta und ihr Verehrer können also nur langsam zur Sacca della Misericordia spaziert sein.
Mehr wird in dem Bericht für Spaur auch nicht stehen. Auf jeden Fall haben wir jetzt den Namen des gut situierten Herrn .»
«Hat sich irgendjemand über den Zeitpunkt der Tat Gedanken gemacht?»
Bossi warf einen Blick auf das Blatt Papier, das er in der Hand hielt. «Auf dem Überstellungsprotokoll für den Begleiter von Signorina Violetta ist eine kurze Notiz des Dienst habenden Arztes», sagte er. «Orlow hat höchstens eine Stunde im Wasser gelegen.»
«Also ist er zwischen halb elf und elf ermordet worden. Wahrscheinlich auf dem Weg zur Pensione Apollo. Was hätte er sonst in dieser Gegend zu suchen? Sie sagten, dass er seinen Pass bei sich hatte. Ist er beraubt worden?»
Bossi schüttelte den Kopf. «Er hatte ziemlich viel Geld in seiner Brieftasche.»
«Ein Raubmord ist es also nicht gewesen.»
«Aber was war es dann?»
Tron wusste, was Bossi hören wollte, aber er zog es vor, sich vorsichtig auszudrücken. Er sagte: «Mich würde interessieren, ob Troubetzkoy für die Tatzeit ein Alibi hat.»
Womit für Bossi bereits alles klar war. «Sie meinen, er hat nach dem Mord an Kostolany alle Zeugen aus dem Weg geräumt? Einen nach dem anderen? Erst den Pater, dann die Potocki – die irgendetwas gewusst haben muss – und jetzt den Oberst?»
Tron lächelte. «Ich weiß nicht, ob es so gewesen ist, Bossi. Es wird alles davon abhängen, was die Kö nigin zu dem Bild des toten Kostolany sagt. Wenn sie uns erklärt, dass sie diesen Mann noch nie gesehen hat, wissen wir, dass jemand anders in die Rolle von Kostolany geschlüpft ist. Nachdem dieser Jemand Kostolany vorher ermordet hat.»
«Werden Sie dann mit Troubetzkoy reden?»
«Ja, sicher. Aber vorher rede ich mit der Königin.»
Tron warf einen Blick auf seine Repetieruhr.
«Wenn sie mit dem Lloyddampfer gekommen ist,
müsste sie bereits wieder in der Stadt sein. Über Troubetzkoy denke ich anschließend nach.»
Bossi erhob sich und legte einen großen braunen Umschlag auf den Schreibtisch. «Hier sind die Fotografien.»
Tron
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