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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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dazu Gama schen und Stiefel mit hohen Absätzen. Ein am Revers befestigtes Monokel ließ auf einen ehemaligen Militärangehörigen oder auf einen Reserveoffizier schließen. Sein Gesicht war bleich, die schwarzen, pomadeglänzenden Haare fielen ihm strähnig ins Gesicht, und seine Hose war voller verkrusteter Blutflecken – keine gute Basis für lautstarke Beschwerden.
    «Eine böse Geschichte, Signor Leinsdorf», sagte Tron.
    Leinsdorf lächelte nervös. «Ein Missverständnis, das sich hoffentlich schnell aufklären wird.»
    «Laut Protokoll sind Sie in einer Blutlache festgenommen worden. Zu Ihren Füßen lag ein Rasiermesser, und einen Schritt von Ihnen entfernt trieb die Leiche eines hohen Offiziers.»
    «Soll das bedeuten, dass ich in Haft bleibe?»
    Tron hob betrübt die Schultern. «Wir müssen die Aussage von Signorina Bellini abwarten.»
    «Und wann sagt sie aus?»
    «Vielleicht Mitte nächster Woche.» Tron seufzte.
    «Das Problem besteht darin, dass wir die Kommandantura einschalten müssen, sobald Offiziere befreundeter Streitkräfte betroffen sind.»
    «Die Militärpolizei?»
    Tron nickte. «Es ist nicht auszuschließen, dass man Sie dann kurzfristig nach Verona verlegt. Aber das entscheidet der zuständige Militärstaatsanwalt.»
    Leinsdorf, ohnehin bleich, wurde noch bleicher.
    «Aber wenn der Militärstaatsanwalt für diesen Fall zuständig ist – warum bin ich dann aus dem Garnisonsarrest in die Questura überstellt worden?»
    «Vermutlich, um einen Teil der Verantwortung  auf zivile Stellen abzuwälzen. Und weil es Gesichtspunkte gibt, die der zivile Sachverstand besser erfassen kann als der militärische.»
    «Es ist also denkbar, dass man hier auf der Questura beschließt, mich nicht zu überstellen?»
    Tron nickte. «Durchaus. Aber das wäre eine Entscheidung, die ich nicht treffen kann.»
    «Wer kann sie treffen?»
    «Der Polizeipräsident, wenn er Montagmittag  wieder im Hause ist. Allerdings geht er möglichen Konflikten mit der Kommandantura gern aus dem Weg.»
    «Und das heißt?»
    «Dass er Sie wahrscheinlich überstellt.»
    «Nach … Verona?»
    Tron nickte. «In den Arrest des Hauptquartiers.
    Und dann ist es nicht auszuschließen, dass Militärstaatsanwälte aus Wien anreisen. In diesem Falle würde man auch Signorina Bellini nach Verona überstellen.»
    «Großer Gott, wie lange soll denn das alles  dauern?»
    «Ein halbes Jahr vielleicht. Sie kommen aus  Wien?»
    Leinsdorf nickte.
    «Wenn Sie Glück haben», sagte Tron, «könnten  Sie während der Untersuchung in Wien inhaftiert werden.» Er schickte ein aufmunterndes Lächeln über den Tisch. «Dann könnten Ihre Angehörigen mit Ihnen in Kontakt bleiben.»
    Das war eine Mitteilung, die ihre tröstliche Wirkung auf Leinsdorf völlig verfehlte. Er seufzte.
    «Commissario, darf ich ganz offen mit Ihnen sprechen?»
    «Selbstverständlich.»
    «Ich nehme an, bei einer solchen Ermittlung wird es sich nicht vermeiden lassen, dass die Umstände zur Sprache kommen, unter denen ich arretiert wurde», sagte Leinsdorf.
    «Ich fürchte, das wird sich tatsächlich nicht vermeiden lassen.»
    «Nun, meine Frau …»
    «Ja?»
    Leinsdorf stieß einen langen – Tron vermutete seit Jahren aufgestauten – Seufzer aus. «Sie ist sehr sensibel. Und sie macht sich … zu viele Gedanken.»
    Er räusperte sich und betrachtete ausgiebig seine Finger, so als wäre er erstaunt darüber, dass er nicht sechs, sondern nur fünf Finger an einer Hand hatte.
    «Ich hatte ihr gesagt», fuhr er dann zögernd und immer noch auf seine Finger starrend fort, «dass ich einen wichtigen geschäftlichen Termin habe. Wenn sie nun erfährt, dass ich mit einer jungen Dame aufgegriffen worden bin, dann …» Wieder stieß Leinsdorf einen Seufzer aus, um dann fortzufahren: «Dann wä re das leider nicht das erste Missverständnis dieser Art. Sie könnte sich an das Sprichwort mit dem Krug und dem Brunnen erinnert fühlen. Und das könnte bewirken, dass sie sich ein bisschen …»
    «Dass sie sich ein bisschen de trop fühlt?»
    Leinsdorf nickte. «Außerdem arbeite ich in der Bank ihres Vaters. Und der könnte sich …» Auch diesen Satz konnte er nicht beenden. Entsetzen ließ seine Gesichtszüge entgleisen.
    Tron lehnte sich über den Tisch und lächelte verständnisvoll. «Ebenfalls de trop fühlen?»

    Leinsdorf ließ seinen Kopf nach vorne sacken – seine momentane Art zu nicken. Tron fand, er sah aus wie ein Mann, der auf dem Boden einer tiefen, schlammigen Grube

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