Gondeln aus Glas
komplizierte Geschichte», sagte Tron. «Vielleicht könnten Hoheit zuerst einen Blick auf zwei Fotografien werfen.» Er nahm die beiden Fotografien aus dem Umschlag und reichte sie der Königin.
Die erkannte sofort, dass es sich um das Bild eines Toten handelte. «Der Mann ist tot?»
Tron nickte. «Er wurde erdrosselt.»
«Warum zeigen Sie mir diese Fotografien?»
Tron schwieg einen Moment, um seiner Antwort den nötigen Nachdruck zu verleihen. Dann sagte er:
«Es handelt sich um Signor Kostolany.»
Die Königin sah Tron irritiert an. «Das ist nicht Signor Kostolany», sagte sie ärgerlich. «Ich habe ihn im Palazzo da Lezze selbst gesprochen und gesehen.»
«Es ist der Mann, den wir im Palazzo da Lezze gefunden haben. Der eindeutig identifizierte Signor Kostolany.»
«Oberst Orlow kannte Kostolany gut. Es kann sich unmöglich ein anderer als Kostolany ausgegeben haben.»
Tron bedauerte, dass er der Königin die Wahrheit nicht länger ersparen konnte. Er sagte: «Es sei denn, Oberst Orlow hat gewusst, dass der Mann, mit dem Hoheit gesprochen haben, nicht Kostolany gewesen ist.»
Einen Augenblick lang war die Königin still.
Dann senkte sie ihren Blick zum Fußboden und schien in die Beschriftung einer ihrer Hutschachteln vertieft zu sein. Schließlich hob sie den Kopf wieder.
Als sie sprach, klang ihre Stimme sachlich und beherrscht. «Was ist passiert, Commissario?»
«Wir glauben», sagte Tron, «dass Oberst Orlow zwei Kopien bei Pater Terenzio bestellt hat. Und dass er eine der beiden an Kostolany verkauft hat. Als Hoheit nach Venedig kamen, ergab sich eine prekäre Situation.»
Die Königin nickte. «Er konnte mir entweder alles beichten oder irgendetwas inszenieren. Offenbar hat er sich für die zweite Möglichkeit entschieden.
Wobei ich nicht glaube, dass der Mord an Kostolany Teil seines Plans war.»
«Sondern?»
«Dass ihm die Kontrolle entglitten ist. Übrigens hatte ich in den letzten Tagen den Eindruck, dass er Angst hatte und mir etwas sagen wollte.»
«Was er aber nicht getan hat.»
«Nein. Aber vielleicht würde er dann noch leben.
Was ist mit dem Mann, der die Rolle Kostolanys gespielt hat? Wer könnte das gewesen sein?»
«Das wird sich feststellen lassen, indem wir eine Begegnung zwischen Hoheit und diesem Komplizen herbeiführen», sagte Tron.
«Wollen Sie damit sagen, dass Sie den Mann kennen?»
«Wir haben eine Vermutung. Es handelt sich um einen alten Bekannten von Oberst Orlow.»
«Um Troubetzkoy?»
Tron nickte. «Es sieht ganz so aus.»
«Wann werden Sie den Großfürsten vernehmen?»
«Noch heute. Das Problem ist, dass er diplomatische Immunität besitzt. Aber es wird einen Bericht geben, der an den russischen Botschafter in Wien und an den Ballhausplatz geht. Den könnten wir englischen und französischen Blättern zuspielen.
Dann wäre Troubetzkoy gesellschaftlich tot.»
Der Vorschlag der Königin kam so schnell, als hätte sie bereits darüber nachgedacht. «Bieten Sie ihm ein Geschäft an. Den Tizian gegen einen Skandal.»
«Drei Morde sollen folgenlos bleiben?»
«Ich brauche das Geld», sagte die Königin schlicht.
Sie hatte den Blick wieder auf eine ihrer Hutschachteln gesenkt. «Das würde ich in Kauf nehmen.»
Tron deutete eine frostige Verneigung an. «Die Frage ist, ob auch ich es in Kauf nehmen würde.»
«Das verstehe ich, Commissario», sagte die Königin.
«Aber vielleicht begreifen Sie, warum ich diesen Tizian unbedingt haben muss, wenn ich Ihnen …»
Sie brach den Satz ab, trat ans Fenster und starrte auf den Himmel hinter der Salute, der jetzt mit schlierigen, kleinen Wolken überzogen war. Dann drehte sie sich um und sagte: «Wenn ich Ihnen ein wenig über mich verrate.» Die Königin wies auf einen der Fauteuils, die am Fenster standen. «Nehmen Sie Platz, Conte. Ich werde Ihnen alles erzählen. Dann entscheiden Sie selbst, wie Sie mit dem Großfürsten verfahren.»
Marie Sophie hatte sich ebenfalls gesetzt. Sie schlug die Beine übereinander, strich ihr Kleid glatt und sah Tron an. «Erinnern Sie sich an die Umstände, unter denen wir in Terracina gelandet sind, um ins römische Exil zu gehen?»
Tron nickte. Ganz Europa erinnerte sich daran.
Der französische Dampfer Mouette hatte die königliche Familie im Februar 1861 aus Gaeta evakuiert, einer Bergfestung, die sich anderthalb Kilometer ins Tyrrhenische Meer erstreckt und die vier Monate lang von piemontesischen Truppen belagert worden war.
Die Königin zog eine kleine
Weitere Kostenlose Bücher