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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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einen nachsichtigen Blick über den Tisch. «Wo liegt dann das Problem, Commissario?»
    Tron war sich sicher, dass Leinsdorf ihn inzwischen für einen Tropf hielt. Er seufzte und machte ein ängstliches Gesicht. «Mit der Einstellung der Ermittlungen würde ich mich am äußersten Rand meiner Befugnisse bewegen.»
    Leinsdorfs Tonfall war jetzt der eines Menschen, der einem Kranken zuredet. «Am äußersten Rand heißt doch, dass eine mögliche Einstellung der Ermittlungen innerhalb Ihrer Befugnisse liegt.»
    «Meinen Sie?» Tron lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und rollte seine Augen einfältig zur Decke.
    Leinsdorf sollte denken, dass er ihn über den Tisch zog. «Und was würden Sie vorschlagen, Signor Leinsdorf?»
    Leinsdorf, der Grube entronnen und dem Leben  wiedergeschenkt, stand jetzt im Zenit seiner Wiederauferstehung. Selbst die hässlichen Blutflecken auf seiner Hose sahen fröhlich und verwegen aus. Er war genau da, wo Tron ihn haben wollte.
    Leinsdorf sagte: «Dass ich die Kreditverträge heute Nachmittag unterzeichne und um Mitternacht den Lloyddampfer nach Triest nehme.»
    Das war eine sehr gute Nachricht, aber ein wenig Widerstand pro forma schien Tron immer noch angebracht zu sein. Er räusperte sich nervös und warf einen misstrauischen Blick über den Tisch. «Und wie kann ich mir sicher sein, dass diese Verträge auch …»
    Tron brach ab, starrte verlegen auf seine Finger und verfiel in ein täppisches Schweigen.
    Leinsdorf lächelte wohlwollend. «Dass die Verträ ge auch unterzeichnet worden sind? Ist es das, was Sie sagen wollten, Commissario?»
    Tron nickte unsicher.
    «Indem Sie der Fürstin am späten Nachmittag einen Besuch abstatten», sagte Leinsdorf immer noch lächelnd. «Wenn die Verträge dann noch nicht unterzeichnet worden sind, verhaften Sie mich wieder.»

43
    Maria Sofia di Borbone, die Königin von Neapel, noch im Reisekleid und umgeben von Hutschachteln und halb ausgepackten Reisekoffern, stand in der Mitte ihres Salons und fächelte sich Luft mit einem billigen Papierfächer ins Gesicht. Die Fenster waren geöffnet, und Tron sah die Kuppeln der Salute auf der anderen Seite des Canalazzo, hinter denen der strahlend blaue Himmel des Vormittags sich dunstig zu verschleiern begann. Da der Ostwind, der vor ein paar Stunden noch ein wenig Kühlung gebracht hatte, eingeschlafen war, lag eine drückende Schwüle über der Stadt.
    «Meine kaiserliche Schwester liebt dies alles», stellte Marie Sophie ein wenig rätselhaft fest. Zuerst verstand Tron nicht, was sie damit sagen wollte.
    Schließlich begriff er, dass die Königin das Chaos aus Hutschachteln und Koffern meinte, das sich zu ihren Füßen ausbreitete. Sie schenkte Tron ein trauriges Lächeln. «Mich erinnern gepackte Koffer immer an unsere Flucht aus Neapel.»
    Dann bückte sie sich und fing an, in einer Reisetasche zu wühlen. «Haben Sie meinen Tizian gefunden?», fragte sie, ohne aufzublicken. Ihre Nervosität war ebenso unübersehbar wie ihr Wunsch, sie zu verbergen.
    «Ich muss Hoheit enttäuschen.»
    Die Königin ging nicht darauf ein. «Und Oberst Orlow? Wissen Sie, wo der steckt? Er ist nicht im Hotel, und er hat mir auch keine Nachricht hinterlassen. Ich hatte ihn am Bahnhof erwartet. Es war ein ziemliches Theater ohne ihn.»
    O Gott, dachte Tron, wie er das hasste. Auf Leichen zu stoßen, war er inzwischen gewöhnt. Aber jemandem den Tod eines nahe stehenden Menschen mitzuteilen kostete ihn jedes Mal eine kolossale Überwindung.
    Was für eine Beziehung hatten sie zueinander gehabt – der angeblich so treue Diener und seine schöne Herrin, die Königin beider Sizilien? Wusste Marie Sophie von Orlows Disposition und von seinen Besuchen in der Pensione Apollo? Hatte sie den Oberst mit ihrer Antwort, er habe sich an jenem Abend mit einem Waffenhändler getroffen, gedeckt? Oder war sie ahnungslos? Und: Würde es sie tatsächlich überraschen, zu erfahren, dass Orlow sie hintergangen hatte?
    Tron räusperte sich und sagte knapp: «Orlow ist tot.»
    Der Kopf der Königin fuhr ruckartig nach oben, sie öffnete den Mund, aber es kamen keine Worte heraus. Erst nach eine Weile brachte sie es fertig zu fragen: «Ein Unfall?»
    «Der Oberst ist gestern Nacht in Cannaregio ermordet worden», sagte Tron. «Mehr wissen wir im Moment noch nicht. Eine Militärpatrouille hat seine Leiche gefunden. Wir glauben nicht, dass es ein Raubmord war.»
    «Aber wer …» Die Königin schüttelte entsetzt den Kopf.

    «Das ist eine

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