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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Caserta mit tonloser Stimme, und Tron registrierte bestürzt, dass sie die flackernden Augen einer Frau hatte, die kurz vor einem totalen Nervenzusammenbruch steht. «Ich muss wissen, ob der Tizian entwendet wurde oder nicht. Und zwar sofort. Oberst Orlow soll kommen und …»
    Aber sie konnte den Satz nicht mehr vollenden.
    Stattdessen bot sie Tron ein Schauspiel, das er noch  nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Signora Caserta drehte sich, während ihre Knie langsam nachgaben, anmutig um die eigene Achse und sank mit einer fließenden, eleganten Bewegung, die einer Primaballerina alle Ehre gemacht hätte, auf den Sessel, neben dem sie gestanden hatte. Dort blieb sie mit wogendem Busen liegen – in einer Haltung, die auch deshalb überaus dekorativ wirkte, weil der grüne Atlas ihrer Krinoline hervorragend mit dem dunkelroten Samt der Sesselbezüge harmonierte.
    Dass Frauen seufzend in Ohnmacht fallen und anschließend mit Fächern und Riechsalz wiederbelebt werden, war ein Klischee, das Tron nur aus den französischen Romanen der Contessa kannte, in denen er hin und wieder blätterte, um à jour zu sein. Jedenfalls wusste er jetzt, was in solchen Fällen zu tun war.
    «Wir brauchen Riechsalz und einen Fächer, Sergente», sagte Tron, während er sich in Bewegung setzte. «Holen Sie die Zofe her.»
    Signora Caserta war inzwischen einige Zentimeter auf ihrem roten Samtsessel herabgesunken. Ihr Kopf ruhte seitlich auf ihrer Brust, und da sie die Beine ausgestreckt hatte, war ihre Krinoline eine Handbreit nach oben gerutscht, sodass sich unter schwarzen Strümpfen zwei wohlgeformte Knöchel und zwei schlanke Fesseln enthüllten – ein erfreulicher, wenn auch höchst unschicklicher Anblick.
    Ohne lange nachzudenken, griff Tron nach der  Tischdecke, um sie über die Knöchel von Signora Caserta zu breiten, als hinter ihm eine bellende  Stimme in scharfem Befehlston sagte: «Was machen Sie da, Signore? Und wer sind Sie?»
    Tron fuhr auf dem Absatz herum und sah sich mit einem weiteren abgedroschenen Klischee konfrontiert: einem an der Tür der Suite stehenden Offizier, dessen Tenue nicht den geringsten Zweifel daran ließ, dass er den Gehrock, den er umständehalber tragen musste, am liebsten sofort wieder mit seiner Uniform vertauscht hätte. Er hatte einen gewaltigen Brustumfang, ein mahagonifarbenes Gesicht und eine gebogene, säbelartige Nase. Die zivile Kleidung wirkte an ihm wie eine absurde Kostümierung, und mit der verwelkten Nelke im Knopfloch seines Gehrocks sah der Mann aus wie ein altmodisches Vaudevillegespenst, das an den Rändern bereits anfing zu schimmeln. Ohne Frage handelte es sich hier um den erwähnten Oberst Orlow. Tron schätzte ihn auf knapp fünfzig.
    «Commissario Tron», sagte Tron. «Venezianische Polizei. Sind Sie Oberst Orlow? Der Freund der Casertas?» Dann, ohne eine Antwort Oberst Orlows abzuwarten: «Signora Caserta ist ohnmächtig geworden.»
    Was inzwischen nicht mehr ganz korrekt war,
    denn als Tron sich wieder Signora Caserta zuwandte, sah er, wie ihre Lider zuckten, sich erst ein Auge öffnete, dann das andere und sie schließlich den Kopf hob.
    «Signora Caserta?» Tron beugte sich herab und sah aus den Augenwinkeln, wie Bossi und die Zofe in den Salon stürzten. Oberst Orlow war neben ihn getreten, und es blieb unklar, zu wem Signora Caserta sprach, denn sie hatte ihre Augen auf die gegenü berliegende Wand gerichtet.
    «Ich muss wissen», sagte Signora Caserta matt, aber bestimmt, «ob der Tizian noch da ist.» Sie hob die rechte Hand, um das Fläschchen mit dem Riechsalz abzuwehren, das ihre Zofe ihr entgegenstreckte.
    Dann richtete sie ihren Blick auf Tron. Trotz des hellen Lichtes, das vom Canalazzo her in den Salon strömte, waren ihre Pupillen groß und dunkel.
    «Oberst Orlow», fuhr sie in einem Ton fort, der keinen Widerspruch duldete, «wird Sie an meiner Stelle in den Palazzo da Lezze begleiten.» Sie lächelte, vielleicht um die Schroffheit ihrer Worte abzumildern, und Tron nickte schweigend.
    «Dann gehen Sie jetzt und warten ein paar Minuten im Foyer auf ihn», sagte Signora Caserta. Sie schloss die Augen und ließ sich in ihren Sessel zurücksinken, um zu signalisieren, dass die Unterredung beendet war.
    Beim Lächeln hatten sich zwei kleine Grübchen in den Mundwinkeln von Signora Caserta gezeigt, und als Tron zusammen mit Bossi den Salon verließ, fragte er sich wieder, an wen ihn diese junge Frau erinnerte.

6
    «Der Tizian stand hier auf dieser

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