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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Staffelei, Commissario», sagte Orlow. Er sah Tron mit unterdrückter Empörung an – eine Reaktion, mit der Tron inzwischen vertraut war. Viele Opfer von Verbrechen neigten im ersten Augenblick dazu, der Polizei die Schuld an ihrem Unglück zu geben.
    Der Oberst drehte seinen gewaltigen Oberkörper nach links, machte einen halben Schritt nach vorne und stand jetzt an der Stelle, an der vor zwei Tagen die Füße Kostolanys gelegen hatten. Bossi hatte die Fensterläden geöffnet, und im hellen Tageslicht wirkte der hohe Raum, dessen Wände mit kostbaren Gemälden geradezu tapeziert waren, merkwürdig kahl und trostlos.
    Auf der Gondelfahrt zum Palazzo da Lezze hatte Tron feststellen müssen, dass er den Oberst zu Unrecht für einen Dummkopf gehalten hatte. Hinter der Fassade eines beschränkten Haudegens verbarg sich eine wache, wenn auch zweifellos etwas exzentrische Intelligenz. Im Gespräch hatte sich Orlow als ein fanatischer Legitimist erwiesen und kein Hehl daraus gemacht, dass er nicht gewillt war, den Anspruch des im römischen Exil lebenden Königs auf den Thron beider Sizilien aufzugeben. Einige seiner politischen Urteile waren kindisch, andere erstaunlich scharfsichtig.
    Dass Oberst Orlow sich mit dem Gedanken einer politischen Einheit Italiens naturgemäß wenig anfreunden konnte, machte ihn Tron beinahe sympathisch.

    Sie beide jedenfalls, dachte Tron (der in dem Oberst ein groteskes Spiegelbild seiner selbst erkannte), waren für etwas hoffnungslos Anachronistisches eingetreten und hatten ihren Kampf verloren. Tron hatte im März 1848 gegen die Österreicher für die Wiederauferstehung der Republik gekämpft – Orlow gegen Garibaldi und die Piemontesen für den Fortbestand der bourbonischen Monarchie. Trons Traum von der Wiederherstellung der venezianischen Republik war im Sommer 1849 im Bombenhagel der Österreicher zerbrochen, für Orlow kam das Ende im Artilleriefeuer der Piemontesen – in der Festung Gaeta, dem Felsennest am Meer, in dem sich die Reste der geschlagenen bourbonischen Armee verschanzt hatten. Der Lauf der Geschichte, dachte Tron resigniert, hatte sie beide ausgespuckt wie eine verfaulte Frucht. Nur dass Orlow es immer noch nicht akzeptieren wollte.
    Die knarrende Stimme Orlows riss Tron aus seinen Gedanken. «Kann es sein, dass sich dieses Gemälde in einem anderen Zimmer befindet?»
    Der Oberst hatte seine zivile Ausstattung durch einen schwarzen Zylinderhut vervollständigt und sah jetzt aus wie ein russischer Zirkusdirektor. Tron fragte sich inzwischen, ob Orlow es bewusst darauf anlegte, wie ein lächerlicher Dummkopf zu wirken – und wenn, warum er das tat. Er schüttelte den Kopf.
    «Wir haben die ganze Wohnung gründlich durch sucht.»
    «Also ist der Tizian verschwunden», sagte Oberst  Orlow im emotionslosen Ton eines Mannes, der  eine militärische Situation analysiert. Seine Miene verriet, dass er nicht die Absicht hatte, sich damit abzufinden – ebenso wenig wie mit der Niederlage in Gaeta.
    «Und offenbar nur der Tizian», sagte Tron nachdenklich.
    Orlow runzelte die Stirn. «Sie meinen, es war kein Zufall, dass Kostolany ausgerechnet an dem Abend ermordet wurde, an dem er den Tizian in seinen Räumen hatte? Glauben Sie, dass es jemand auf dieses Bild abgesehen hatte?»
    Tron zuckte die Achseln. «Das kann ich nicht sagen. Wer hat noch davon gewusst, dass Sie das Bild an Kostolany verkaufen wollten?»
    «Niemand. Auch in Rom hat – außer natürlich  Signor Caserta – niemand davon gewusst.»
    «Und das Personal?»
    «Bis auf die Zofe von Signora Caserta hat uns kein Personal nach Venedig begleitet. Und der Tizian war in einer verschlossenen Kiste, die erst Donnerstagabend in diesem Raum hier geöffnet wurde.»
    «Wann haben Sie mit Kostolany Kontakt aufge nommen?»
    Orlow begriff sofort, worauf Tron hinauswollte.
    «Erst hier in Venedig. Ich hatte ihm unseren Besuch am Donnerstagvormittag angekündigt. Ohne zu sagen, dass es sich um den Verkauf eines Tizians handelt. Er kann den Tizian keinem Menschen gegenü ber erwähnt haben.»

    Also war es unwahrscheinlich, dass es der Mörder Kostolanys gezielt auf das Gemälde abgesehen hatte.
    Allerdings stellte sich dann die Frage, warum er nicht die Gelegenheit genutzt hatte, noch ein oder zwei weitere kleinformatige Gemälde mitgehen zu lassen.
    Den handlichen Longhi etwa (zwei Damen, ein  Nilpferd betrachtend), der – gewissermaßen griffbereit – in Augenhöhe über einem Konsoltisch hing, oder die schöne

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