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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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gefallen wäre.
    «Dieser Oberst Orlow», fuhr Bossi fort, «wirkt auf mich wie eine Fälschung. Oder halten Sie diesen dick aufgetragenen Legitimismus für echt, Commissario?»
    Tron lehnte sich zurück, drehte seinen Kopf nach oben, und da ihm die Sonne mitten ins Gesicht schien, musste er blinzeln. Nein, dachte er, eigentlich nicht. Jemand, der so echt wirkte wie Orlow – dieser martialische Schnurrbart, diese schnarrende Kommandostimme – konnte einfach nicht echt sein.
    Doch wenn Orlow nicht echt war – was bezweckte der echte Orlow mit dieser Kostümierung? Tron sagte: «Warum sollte Orlow uns etwas vormachen?»
    «Vielleicht möchte er, dass wir ihn unterschätzen.»

    «Sie meinen, wenn er von der gottgewollten Monarchie schwadroniert, halten wir ihn für einen Dummkopf?»
    Bossi nickte. «So ungefähr.»
    «Nicht alle, die keinen Wert darauf legen, von den Piemontesen geschluckt zu werden, sind. 
    Dummköpfe», sagte Tron schärfer als beabsichtigt.
    «Im Übrigen haben Sie als Beamter einen Eid auf Franz Joseph abgelegt. Aber ich kann damit leben», setzte er in versöhnlichem Ton hinzu, «dass Sie als Privatperson für die italienische Einheit sind.» Er drehte den Kopf zur Seite und sah Bossi lächelnd an.
    «Jedenfalls solange Sie nicht im Dienst ein Schleifchen mit der Trikolore tragen.»
    «Deswegen sind gestern Abend fünf Studenten aus Padua am Bahnhof verhaftet worden», sagte Bossi mürrisch. «Weil sie im Knopfloch ihrer Gehröcke die Schleifchen mit den Farben Italiens getragen haben.»
    «Es gibt eine Anweisung des Polizeipräsidenten, über diese Schleifchen hinwegzusehen», sagte Tron.
    «Niemand hat ein Interesse daran, die Stimmung zusätzlich aufzuheizen.»
    «Raconti selber hat die Verhaftungen vorgenommen. Er war zufällig am Bahnhof.»
    «Raconti ist ein Esel», sagte Tron. «Man hätte ihn nie zum Commissario von Cannaregio ernennen dürfen. Vermutlich hatte der Stadtkommandant seine Hand bei dieser Ernennung im Spiel.»
    «Um Spaur eins auszuwischen?»
    Tron sagte: «Sie wissen doch, dass Toggenburg und Spaur sich nicht ausstehen können.» Er lächelte.
    «Aber eigentlich waren wir bei Orlow. Warum  könnte der Oberst wollen, dass wir ihn unterschätzen?»
    «Vielleicht, weil er uns etwas verschwiegen hat.»
    «Und was?»
    «Ich weiß es nicht», sagte Bossi ratlos. «Es ist nur so ein Gefühl.» Er zuckte die Achseln. «Was haben Sie jetzt vor, Commissario?»
    «Heute Abend auf dem Bahnhof mit Valmarana  zu reden.»
    «Soll ich sicherheitshalber mitkommen?» Bossie machte ein besorgtes Gesicht. «Sie kennen den Mann nicht.»
    «Ich glaube, ich war mit ihm auf dem Seminario Patriarcale. Aber das ist lange her.»
    «Was macht ein Conte Valmarana bei der Eisenbahn?»
    Eine berechtigte Frage, dachte Tron. Was machte er, Tron, bei der Polizei? Er sagte, ohne nachzudenken: «Vermutlich gehört Valmarana zu den Direktoren.»
    Das überzeugte Bossi nicht ganz. «Aber die Valmaranas schienen mir völlig abgebrannt zu sein.»
    Tron seufzte. «Sie haben keine Ahnung, was so ein Palazzo verschlingt, Bossi. Dafür reichen drei Direktorengehälter nicht.» Er stieß einen Stoßseufzer aus. «Glauben Sie mir.»
    Jetzt schlug die Gondel an den Steg, und eine letzte Drehung des Ruders in der forcola brachte ihren Rumpf zur Ruhe. Bossi erhob sich mit ausgestreckten Armen, und Tron sah ohne Überraschung, dass die Piazetta und die Piazza voller Menschen waren.
    Lange Schlangen hatten sich vor den Anlegern, an denen die Gondeln ablegten, gebildet, Tauben flatterten über das Pflaster, kaiserliche Offiziere standen in kleinen Gruppen zusammen, und über allem lag, da der Hochsommer sich nun unwiderruflich näherte, der Geruch von fauligem Lagunenwasser und Freitagnachmittagsschweiß. Natürlich, dachte Tron, war dies alles auch ein fetter Weidegrund für Taschendiebe. Zweifellos würde Sergente Bossi im Laufe des Tages gezwungen sein, mindestens ein Dutzend Anzeigen von bestohlenen Fremden aufzunehmen.
    Doch im Moment schien der Sergente noch etwas anderes auf dem Herzen zu haben. Er drehte sich beim Ausstieg aus der Gondel noch einmal zu Tron um. «Diese Signora Caserta», sagte er langsam. «Irgendetwas stimmt nicht mit ihrem Namen.»
    Tron hob die Augenbrauen. «Und was?»
    «Das Signora vor dem Namen.» Bossi wiegte den Kopf. Dann sagte er nachdenklich: «Sie wirkt auf mich wie eine große Dame, die es gewohnt ist, dass man ihren Anweisungen folgt.»
    «Jemand aus dem Umkreis des Königs von

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