Gondeln aus Glas
gesprochen.»
Hatten sie darüber gesprochen? Tron überlegte einen Moment, konnte sich aber an kein Gespräch über achthundert Gondeln erinnern. Verwechselte ihn die Contessa mit irgendjemandem? Oder hatte ihn die Principessa mit jemandem verwechselt, als sie über die Gondeln gesprochen hatte? Vielleicht mit Moussada? Tron hielt inzwischen alles für möglich.
Er räusperte sich. «Worüber?»
«Über unsere Kampagne», sagte die Contessa. «Es war meine Idee, und die Principessa war sofort einverstanden.»
Das Wort Kampagne, so wie die Contessa es aus sprach, hörte sich ausgesprochen gefährlich an. «Ich verstehe nicht, wovon du redest», beharrte Tron.
«Gondeln aus Pressglas», sagte die Contessa. «Eine manuelle Herstellung hätte uns Monate gekostet und wäre viel zu teuer gewesen. Folglich haben wir sie in Frankreich bestellt.»
«Und wofür brauchen wir diese Gondeln?» Tron hatte das Wort Pressglas noch nie gehört.
«Als Aschenbecher. Für Zahnstocher. Zum Able gen von Visitenkarten. Zur Aufbewahrung von Stahlfedern. Auch als Briefbeschwerer. Bei Tisch für die Gräten. Oder einfach als Dekoration.»
Eine rätselhafte Antwort. Selbst wenn sie alle anfangen würden, wie verrückt (wie die Principessa) zu rauchen, massenhaft Fisch zu essen und Visitenkarten zu sammeln, würden sie dafür wohl kaum achthundert Gondeln benötigen. Tron räusperte sich. «Was ist Pressglas?»
«Gepresstes Glas», sagte die Contessa knapp. «Man gibt heißes Glas in eine Form, klappt eine andere Form – den Stempel – darüber, und – zack! – fertig ist die Gondel.» Die Contessa legte die Gabel ab, wölbte die Finger der linken Hand zu einer Art Halbkugel und ließ ihre rechte Faust in die Halbkugel sausen. «Der Stempel», fügte sie hinzu, «ist immer ein wenig kleiner als die Hohlform. Folglich muss der obere Rand immer etwas größer sein als die weiteste Stelle des Produkts.»
Das konnte sich Tron, den schon die Ausdrücke Hohlform und Stempel verwirrten, noch schwerer vor stellen. Also beschränkte er sich darauf zu fragen:
«Hast du eine dieser Gondeln zur Hand?»
Auf einen Wink der Contessa verschwand Alessandro in der sala und kam kurz darauf mit einer kleinen Pappschachtel zurück, an der noch einige französische Sägespäne klebten.
Der längliche Gegenstand, den die Contessa der Schachtel entnahm und auf dem Tisch absetzte, bestand aus grünstichigem Rauchglas und war so lang wie eine kräftige Männerhand. Er ruhte auf seiner unten abgeplatteten Rundung und sah aus wie eine kleine, entlang der Innenwölbung aufgeschnittene und anschließend mit einem Dessertlöffel ausgehöhlte Salatgurke. Am Bug der Gurke war gut lesbar der Name TRON eingeprägt – in einer Art Schreibschrift, die wohl Dynamik ausdrücken sollte. Tron beugte sich über den Tisch und nahm die Gondel (die Gurke) in die Hand. Sie wog schwerer, als er erwartet hatte, und er musste unwillkürlich an den legendären stumpfen Gegenstand denken, die Mordwaffe, die stets blutbefleckt neben dem Mordopfer lag.
Die Contessa blickte Tron erwartungsvoll an, als er die Gondel zurück auf den Tisch setzte. Aus den Augenwinkeln sah Tron, dass auch Alessandro, der mit weißen Servierhandschuhen an der Kredenz stand, ihn aufmerksam beobachtete. Ob die Contessa eine Äußerung zu den dekorativen Aspekten der Gondel erwartete? Oder sollte er sich eher über die praktischen Aspekte auslassen? Vielleicht den Gedan ken äußern, dass man auch Pralinés und Kleingeld in ihr aufbewahren konnte?
Tron sagte: «Ich frage mich nur, warum wir achthundert Stück von diesen Gondeln bestellt haben.
Ich meine, auch wenn uns hin und wieder eine der Gondeln zerbrechen sollte …»
Die Contessa verdrehte die Augen. «Die Gondeln sind nicht für uns, Alvise.»
«Für wen sonst?»
Die Antwort der Contessa flog über den Tisch wie ein Schrapnell. «Für die Kampagne .»
Da war es wieder, dieses Wort. Diesmal klang es noch gefährlicher. «Eine Kampagne», sagte Tron, «ist ein Feldzug.»
Das gefiel der Contessa. Sie nickte. «Und die Gondeln sind unsere Kanonenkugeln.»
«Mit denen du was unter Feuer nimmst?»
«Die Konkurrenz.»
«Das verstehe ich nicht.»
«Wir verteilen dreihundert Gondeln an die gro ßen Hotels», sagte die Contessa. Sie sprach jetzt im Ton eines kommandierenden Offiziers, der einen Stabsbefehl diktiert. «Zweihundert an die Cafés, an die Restaurants und an den Österreichischen Lloyd.»
«Und dann?»
«Werden mehrere
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