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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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sie allerdings sofort verdrängte), dass auch ihre eigene Geschichte ein gutes Libretto für eine schmalzige Operette abgeben würde.
    Am Wochenende hatte sie, um sich vom quälenden Warten auf Neuigkeiten aus der Questura abzulenken, zusammen mit Oberst Orlow einen Ausritt auf dem Lido unternommen – so hieß der lang gezogene Landstreifen, der die östliche Lagune vom offenen Meer trennte. Dieser Ausflug hatte sich als Fehlschlag erwiesen. Das Meer vor Neapel war eine leuchtende, tiefblaue Fläche, in seiner Bucht von heiteren Gebirgszügen umschlossen wie von Früchtekränzen. Hier waren sie einen endlosen, mit Treibholz und toten Fischen gesäumten Strand entlanggeritten, der mit armseligen Fischerdörfern und österreichischen Geschützstellungen besetzt war. Das Meer, fand sie, sah blass und grünlich aus, seltsam undurchsichtig, wie eine Suppe aus Grünkern, die man wieder aufgewärmt hatte. Und dann dieser Wind, ein widerlicher Ostwind, der ihr salzige Meeresluft und Sand in die Augen trieb.
    Sie trat vom Fenster zurück, als sich drei mit Fremden besetzte Gondeln dem Regina e Gran Canal näherten – beim Anblick von Gondeln empfand sie jedes Mal ein fast körperliches Unbehagen. In diesem Moment klopfte es an der Tür ihres Salons, und sie drehte sich um. Es war ihre Zofe, die einen Besucher ankündigte.

    «Commissario Tron, Hoheit.»
    Marie Sophie warf einen flüchtigen Blick auf die Stutzuhr auf dem Kamin und stellte fest, dass es kurz vor zwölf Uhr war – eine ungewöhnliche Zeit für Besuch, aber nicht so ungewöhnlich, dass man auf einen sensationellen Durchbruch bei den Ermittlungen gefasst sein durfte. Sie strich ihr Kleid glatt, trat in die Mitte des Salons und reckte das Kinn empor.
    «Ich lasse bitten. Und zieh die Vorhänge auf.»
    Ein paar Augenblicke später sah sie, wie Commissario Kaffeehausliterat ihren Salon mit einer Verbeugung betrat – und dass sein Sergente einen flachen quadratischen Gegenstand unter dem Arm trug.

    Maria Sofia di Borbone, fand Tron, war kleiner und ein wenig fülliger als ihre Schwester, dabei durchaus angenehm proportioniert, was durch den taillierten Schnitt ihres samtenen Hauskleides diskret betont wurde – ein Kleid, das mit seinen abgestoßenen Ärmeln und der deutlich sichtbaren Stopfstelle am Kragen nicht besonders königlich aussah. Andererseits, dachte Tron, glich die Königin (jedenfalls jetzt, da er wusste, wer sie war) in ihrem bescheidenen Aufzug und dem trotzig emporgereckten Kinn dem Bild, das sich die europäische Öffentlichkeit von ihr gemacht hatte: dem Bild einer unerschrockenen Kriegerin, einer Frau, die im Artilleriehagel der piemontesischen Truppen mit dem Mut einer Löwin von Stellung zu Stellung geeilt war – dem Bild der Heldin von Gaeta.

    Tron sagte auf Deutsch: «Ich hatte gehofft, Hoheit anzutreffen.»
    Einen Augenblick lang war die Königin irritiert.
    «Sie wissen, wer ich bin, Commissario?»
    Tron räusperte sich und setzte ein respektvolles Lächeln auf. «Die Ähnlichkeit mit Ihrer Kaiserlichen Hoheit ist unverkennbar», sagte er. Dann fügte er mit einem wohlwollenden Blick auf Bossi hinzu: «Auch mein Sergente hatte sofort eine entsprechende Vermutung.»
    «Was führt Sie zu mir, Commissario?»
    «Ich möchte Hoheit bitten, ein Gemälde zu identifizieren.» Tron gab Sergente Bossi einen Wink, das Tischtuch von dem Tizian zu nehmen.
    Die Königin machte zwei Schritte nach vorne,
    ging völlig unköniglich vor dem Bild in die Hocke und betrachtete es lange. Dann erhob sie sich wieder, schüttelte den Kopf – mit einem Gesichtsausdruck, als wollte sie sagen: Was einem doch alles passieren kann! – und sah Tron an. «Ich danke Ihnen, Commissario.»
    Tron hob abwehrend die Hand. «Sind Hoheit sicher, dass es sich um das Gemälde handelt, das aus dem Palazzo da Lezze verschwunden ist?»
    Die Königin runzelte die Stirn. «Ich verstehe Ihre Frage nicht, Commissario.»
    «Dieses Gemälde», sagte Tron, «fand sich auf einer Brigg, die an den Zattere lag. Der Eigner behauptet steif und fest, er habe es vor zwei Monaten von Kostolany gekauft. Für einen günstigen Preis und mit dem Hinweis, dass es sich wahrscheinlich um eine Kopie handele.»
    Jetzt war die Königin eindeutig verwirrt. «Und warum hat Kostolany uns nichts davon gesagt, dass er vor zwei Monaten eine Kopie der Magdalena gekauft und wieder verkauft hat?»
    Tron zuckte die Achseln. «Vielleicht, um den  Verkäufer des Gemäldes nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Oder

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