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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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dass es sich bei ihrem Tizian um eine Kopie handelt. Nicht bei dieser Vorgeschichte. Also hätte sich die Königin an einen anderen Kunsthändler gewandt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie erfahren hätte, dass es sich bei diesem Bild um eine Kopie handelt.»
    «Womit klar gewesen wäre, dass Pater Terenzio das Original behalten und der Königin zwei Kopien zurückgegeben hat», sagte Bossi ein wenig trübsinnig.
    Tron nickte. «Folglich blieb Pater Terenzio nichts anderes übrig, als das Bild aus dem Verkehr zu ziehen. Was er nicht tun konnte, ohne Kostolany zu töten.»
    Der Sergente wirkte jetzt auf einmal wie ein erfolgloser Handelsvertreter, der seinen Musterkoffer umsonst mitgeschleppt hatte. Ein halbes Dutzend Gelatine-Trockenplatten hatten sich als Ladenhüter erwiesen.
    «Der Fall ist gelöst, Bossi.» Tron unterdrückte den Impuls, dem Sergente herablassend auf die Schultern zu klopfen. «Wir haben», fuhr er fort, «den Mörder und das gestohlene Bild. Spaur ist zufrieden, weil die guten Beziehungen zu Russland nicht getrübt werden. Und die Königin von Neapel ist glücklich, weil sie ihren Tizian zurückbekommen hat.»
    Und die Principessa und die Contessa, dachte  Tron, sind zufrieden, weil sie unter diesen Umständen damit rechnen können, die Königin auf dem Ball zu sehen.
    Bossi sah auf einmal völlig erschöpft aus. Er stützte sich auf das Kamerastativ, als wäre es eine Krücke.
    «Commissario, das mit dem Original oder dem  Nichtoriginal – da kann man leicht den Überblick verlieren.»
    Tron neigte gütig seinen Kopf. «Kriminaltechnik ist eben nicht alles, Bossi.»

22
    «Gratuliere», sagte Spaur am Nachmittag des folgenden Tages in der Questura. Er tippte mit dem Zeigefinger auf Trons dreiseitigen Bericht, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. «Ausgezeichnete Arbeit, Commissario.»
    Der Polizeipräsident, heute in gelbliches Leinen gekleidet, atmete zufrieden im Gleichklang mit dem soeben entkorkten Barolo und nahm sich ein rosa Marzipanherz aus einer hellblauen Pappmachégondel, die seinen Schreibtisch in der Questura dominierte. Tron vermutete, dass es sich bei der Gondel um ein Geschenk von Signorina Violetta handelte, deren fotografisches Portrait in einem silbernen Standrahmen neben der Gondel platziert war.
    Auf dem Schreibtisch des Polizeipräsidenten lagen außer Trons Bericht keine weiteren Akten, aber das Wiener Tageblatt, der Programmzettel der heutigen Traviata-Aufführung im Fenice und ein Stapel Pariser Modezeitschriften. Tron erkannte den Petit Courrier des Dames, daneben lag Les Modes Parisiennes, zwei Zeitschriften, auf die auch die Principessa abonniert war.
    Unter der Regie von Signorina Violetta hatte sich das Büro Spaurs aus einem Ort ärarischer Strenge in ein plüschiges Herrenzimmer verwandelt. Das harte Kavalett war durch eine weiche Ottomane ersetzt worden, auf einer kleinen Anrichte unter dem Bild des Kaisers sah Tron eine Sammlung von Likörflaschen, daneben ein halbes Dutzend Schachteln mit Demel-Konfekt, von dem der Polizeipräsident täglich große Mengen verspeiste. Im Raum hing die Ausdünstung von Spaurs verschwenderisch benutztem Rasierwasser und vermischte sich mit dem fauligen Geruch, der an heißen Tagen vom Rio di San Lorenzo hinauf in das Büro wehte.
    «Ich hatte nicht erwartet», fuhr der Polizeipräsident fort, nachdem er Tron einen Stuhl angeboten hatte, «dass Sie den Fall so schnell lösen würden.»
    Tron lächelte bescheiden. «Ich auch nicht, Herr Baron.»
    «Ihr effektives Arbeiten», fuhr Spaur fort, «hat uns sehr beeindruckt.» Ob er mit dem uns sich und Signorina Violetta meinte oder lediglich im Pluralis Majestatis sprach, blieb unklar. Spaur stopfte sich eine weiteres Marzipanherz in den Mund und sah Tron an. «Wann werden Sie der Königin das Gemälde
    zurückgeben?»
    «Wenn Monsieur de Sivry es untersucht hat und uns bestätigen kann, dass es sich um das Original handelt», antwortete der Commissario.
    Spaur runzelte die Stirn. «Wird das nötig sein?»
    «Wir wollen ganz sicher gehen», sagte Tron.
    «Aber ich rechne nicht mit Überraschungen.»
    Spaur lehnte sich befriedigt zurück. «Dann kann ich dem Großfürsten heute Abend in seiner Loge mitteilen, dass der Fall gelöst ist. Und dass der Mörder durch einen Unfall zu Tode gekommen ist.» Der Polizeipräsident wiegte nachdenklich den Kopf.
    «Wer hätte das für möglich gehalten? Ein Priester.»
    Spaur rieb sich die Hände und sah Tron an. «Und die Novelle? Sind

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